Montag, 9. November 2020

Mama, wann ist Weihnachten?

Es ist Donnerstag, der 24. Dezember 2015 irgendwo in Deutschland. Im Hause Engelbrecht herrscht geschäftiges Treiben: Papa holt den frisch geschlagenen Weihnachtsbaum aus dem Garten und sucht im Keller verzweifelt nach dem Christbaumständer. Mama Engelbrecht rumort in der Küche mit Töpfen und Tellern und die 12-jährige Lisa huscht heimlich mit Geschenkpapier und Bändern durchs Haus. Der 5-jährige Hannes hüpft aufgeregt von einem Bein aufs andere und kräht aus voller Seele: “Mama, wann ist denn nun endlich Weihnachten?“ Seine Mutter lächelt ihn an und meint: „Noch nicht, Hannes, da musst du dich schon noch etwas gedulden….“

Geduld? Das versteht er nun so gar nicht, eigentlich ist doch alles so weit: die Adventszeit mit zahlreichen Weihnachtsfeiern im Kindergarten, Turnverein und in der Kirchengemeinde mit Wichtelgeschenken und Plätzchen haben sie erfolgreich überstanden, der Baum steht, in der Küche duftet es schon nach Braten (warum ist der in diesem Jahr eigentlich so groß? Oma und Opa wollten doch bei der Tante feiern….). Nun fehlt doch nichts mehr, oder?

Mürrisch lässt er die Anweisungen seiner Eltern über sich ergehen: „Hannes, kannst du mir mal bitte die roten Weihnachtsservietten aus dem Schrank holen? Hannes, schau mal, dein selbst gebastelter Schneemann hängt noch nicht richtig am Baum……“ Und so weiter……. Endlich ist der Baum fix und fertig geschmückt und der Tisch fürs Abendessen nach dem Krippenspiel in der Kirche festlich gedeckt. So langsam kommt ihm die Sache aber doch etwas komisch vor: schon der Braten war ungewöhnlich groß für die 4-köpfige Familie und nun sind auch noch mehr als die 4 Gedecke auf dem Tisch und Mama und Papa flüstern so komisch: vielleicht kommen Oma und Opa ja doch zu Besuch…… “Mama, ist denn nun endlich Weihnachten?“ „Nein, Hannes, noch ist nicht Weihnachten…..“ Seufzend streift Mama Engelbrecht für einen Moment die Küchenschürze ab und nimmt ihren zappelnden Sohn auf den Schoß: „Kannst du dich noch an die Weihnachtsgeschichte erinnern, mein Kleiner?“ „Ja doch, klar, haben wir ja oft genug im Kindergarten gelesen. Da ist Jesus auf die Welt gekommen…im Stall mit den Eseln.“ „Genau, und siehst du, erst wenn Jesus zu uns kommt und in unsere Herzen einzieht, dann ist Weihnachten.“ Nicht dass sich ein 5-jähriger Knirps mit Gedanken an bevorstehende Lego-Geschenke mit so einer Antwort zufrieden gibt – aber für’s erste gibt er Ruhe.

Nachmittags machen sich dann alle zu Fuß zur Kirche um die Ecke und bestaunen all die verkleideten Kinder aus der Nachbarschaft, die aufgeregt das einstudierte Krippenspiel aufführen. Da entdeckt Hannes in der liebevoll gebastelten Holzkrippe das Jesus-Kind: „Na endlich!“ brüllt er begeistert durch die Kirche, „….jetzt ist Weihnachten!“ Beruhigend flüstert seine Mutter ihm zu: „Nein, mein Schatz, es ist immer noch nicht Weihnachten.“ Jetzt versteht er die Welt nicht mehr und schlurft nach dem Gottesdienst schlecht gelaunt seinen Eltern hinterher nach Hause. Eigentlich hat er nun so gar keine Lust mehr auf den ganzen Weihnachtskram…… es ist ja irgendwie doch nicht Weihnachten……

Zu Hause angekommen findet er den erleuchteten Weihnachtsbaum nun doch sehr spannend und hat inzwischen bei all der Aufregung einen Bärenhunger bekommen. Jetzt könnte doch eigentlich der Braten aufgeschnitten werden - dann gibt es hinterher umso schneller die Geschenke. Plötzlich klingelt es an der Haustür. Besuch? Um die Zeit? Doch Oma und Opa? Aufgeregt hüpft er in den Flur und späht durch die Glaswand der Haustür nach draußen. Nein, stellt er enttäuscht fest, da stehen völlig fremde Leute…..müssen sich wohl an der Tür geirrt haben. Nun machen seine Eltern den Leuten auch noch die Türe auf und begrüßen sie: „Ach wie schön, kommen Sie doch herein…..herzlich willkommen bei uns.“ „Schaut mal, Hannes und Lisa, das ist die Familie Sabia aus Syrien mit ihren Kindern Haifa und Abeer. Sie haben eine ganz lange und gefährliche Reise hinter sich und wir werden heute mit ihnen zusammen Weihnachten feiern.“

„Ach und übrigens, Hannes,“ lächelt Mama Engelbrecht ihren Sohn an; „jetzt ist Weihnachten.“