Montag, 12. Februar 2024

Die Geister, die ich rief...

Charlotte Knobloch, Auschwitzüberlebende und ehemalige Vizepräsidentin des jüdischen Weltkongresses, nannte es mal den Durchlauferhitzer für Hass und Gewalt. Die Rede ist von einer Institution, die anders gedacht war. Gedacht als Medium der Vernetzung der Welt, nicht nur im wirtschaftlichen Sinne. Als Medium des Informationsaustausches der Wissenschaft. Medium, das Bildung zugänglicher macht. Medium, das Menschen durch sogenannte soziale Netzwerke miteinander in Kommunikation setzt. Einander näher bringt.

Ausgerechnet er nun, einer der Entwickler des Internets, Schöpfer des Begriffs Virtuell Reality, der Kanadier Jaron Lanier, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, verliehen 2018 in der Frankfurter Paulskirche, wandelte sich zu einem der aktivsten Netzwerkkritiker. Benennt es als „grandiose Fehlkonstruktion“. Mahnt durch Bücher und Vorträge die Weltöffentlichkeit unablässig zu einem umsichtigen und gewissenhafteren Umgang. Es ist entartet. So war es nicht gedacht.

Natürlich ist es naiv zu glauben, dass Erfindungen ausschließlich dem Guten dienen. Da war die Erfindung des Papiers, das die Übermittlung von Nachrichten in schriftlicher Form ermöglichte. Da waren Guttenbergs bewegliche Blei-Lettern, die der Erstellung von Druckerzeugnissen gewaltigen Umfangs, respektive dem Buchdruck dienten. Das erste Massenmedium, die Lutherbibel, die dem Kirchenstaat, dem kaum an einer gebildeten, aufgeklärten Bevölkerung gelegen war, den Garaus machte.

Vergleichbar ohne Frage, die Weiterentwicklung bis in die Gegenwart. Die Massenmedien unserer Zeit. Das weiße Blatt, das neben dem Tugendhaften, neben dem Verbreiten von Erkenntnissen und Wahrheit auch dem Gegenteil in die Hände spielte. Der Provokation durch gezielt gesetzte Skandale, der Verbreitung der Lüge, der Manipulation, dem Säen von Unfrieden durch Hass und Hetze. Und stetig entwickeln wir neue Mechanismen, die es dem Geist schwer machen, den Ungeist zu erkennen. Die es hingegen dem Ungeist erleichtern, sein Gift zu verstreuen. Das Gift, das in der Dummheit oder den aus Bequemlichkeit Denkfaulen unter den Konsumenten so fruchtbaren Boden findet.

Einmal in der Welt, hat das Böse immer einen gewissen Vorlauf. Hat es leicht im „World-Wide-Web“. Nutzt die „dunkle Seite der (Internet) Macht“, das sogenannte Darknet, in dem sie sich nahezu ungestört bedienen, die Brandstifter, die sich Radikalisierenden, eben der Ungeist, für ihren Feldzug gegen Rechtsstaat und Frieden. Bis man es enttarnt, vergeht Zeit. Entwickelt sich eine gewisse Dynamik. Entwickeln sich weit verbreitete Netzwerke, die kaum mehr zu beherrschen sind. Illegaler Handel mit Drogen. Mit Waffen aller Art. Darüber Prostitution, Menschenhandel in globaler Dimension.

Dass das Internet nicht das Paradies ist, das sich anfangs viele erträumt hatten, ist inzwischen den meisten klar. Die Schuld an diesen Fehlentwicklungen rund um das Netz wird in der Regel den großen Internet- und Tech-Konzernen wie Facebook oder Google zugeschrieben. Für den Virtual-Reality-Pionier und Internet-Kritiker Jaron Lanier ist das jedoch nur die eine Seite der Wahrheit. Ihm zufolge hat auch die Technik-Community ihren Teil dazu beigetragen, dass das Netz heute „ruiniert“ ist, wie er sagt.
Aber vielleicht übersieht man auf der Suche nach dem Schuldigen noch einen weiteren Aspekt. Und ich denke hier besteht der größte Teil des Handlungsbedarfs. Den genannten Konzernen ist vordergründig an kommerziellen Erfolgen gelegen. Von dieser Strategie werden sie sich kaum distanzieren. Für mich aber liegt die Schuld, wenn von Schuld überhaupt zu reden ist, beim Adressaten. Beim Nutzer. Bei jedem, der sich manipulieren lässt durch Halb- und Unwahrheiten, deren Quellen oft so transparent sind, das sie auch den Dümmsten offenbar werden müssten.Oder bei denen, die mit wissenschaftlicher Raffinesse, mit Leidenschaft und Enthusiasmus Dinge entwickelten, die dem Fortschritt der Zivilisation dienten. Nicht ihrer Vernichtung.

Kann man die Erfindung des Rads verurteilen, das den Ackerbau vereinfachte, den Handel im größeren Rahmen, aber auch die Logistik von Kriegsgerät ermöglichte? Den Ausbau der Bahn, der Nationen miteinander verband, uns Reisen ließ, der aber auch millionenfache Deportationen ermöglichte? Die Erfindung des Dynamit, das den Bergbau, den Straßenbau vereinfachte, in die falschen Hände geraten aber zur verherenden Waffe verkam?

Sich dem Fortschritt zu verweigern, war schon zu Zeiten der Erfindung des Buchdrucks ausgemachter Irrsinn. Mit der Erfindung des Internets ist es nichts anderes. Mit Erfindungen, mit denen sich nun heranwachsende Generationen auseinanderzusetzen haben, beispielsweise der Künstlichen Intelligenz, wird es sich ebenso darstellen. Sie kann sich zum Segen, kann sich zum Fluch entwickeln. Es werden Kontrollmechanismen und Regulierungsbehörden geschaffen, die Schlimmstes zu verhindern suchen. Doch versucht werden wird es durch jene, denen an allem anderen gelegen ist, nur nicht an Fortschrittsgeist im positiven Sinne.

Setzen wir also auf Aufklärung und Bildung. Auf gesunden Verstand, auf Neugierde und hieraus resultierende, auch unbequeme Fragen und auf das freie Denken, das wir uns weder von denen, die uns die Lüge als Wahrheit verkaufen wollen, noch von Maschinen- und Softwaretechnologie aus der Hand nehmen lassen dürfen. Wie schaffen uns Bedingungen, denen wir in Teilen heute schon nicht mehr gewachsen sind. Situationen, die uns nicht mehr unterscheiden lassen zwischen Fake, Deepfake (Neudeutsch) und Wahrheit.

Jaron Lanier ist kein Feind des Internets, wie er mehrfach betont. Ihm geht es aber darum, die sozialen Netzwerke und deren Macht wahrzunehmen, damit das Silicon Valley Raum erhält, „um an sich zu arbeiten“. Solch ein Erziehungsgedanke mag naiv klingen. Wenn man aber bedenkt, wie wenig die bisher eingeleiteten Regulierungen gegen die Schattenseiten der Netzkommunikation ausrichten konnten, fragt man sich schon, ob es nicht an der Zeit ist, solch alternativen Schocktherapien Folge zu leisten. Machen sie den Nutzer doch wieder zu dem, wofür das Netz mal stand: zum frei denkenden Geist im Sinne von Nachhaltig in Fortschritt und Frieden.



Montag, 29. Januar 2024

„J'accuse“ - Ich klage an:

Ort des Schauspieles: Das renommierte Landhaus Adlon in Potsdam. Man lud zum geheimen Treffen am „geheimen“ Ort. Sie erkennen die Ironie? Auch diesmal mit „anschließendem Frühstück“? In der Historie Bewanderte werden wissen, worauf ich anspiele. Man schmückte sich mit Honoratioren einer gewissen Partei, sich präsentierend unter müllsackblauem Logo. Schmückte sich mit geladenen Gästen aus allen Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik. Nicht zu vergessen Delegierte rechtsnationaler, völkischer Verbände, strafrechtlich in Erscheinung getretene, rechtskräftig verurteilte Gewalttäter, denen voreilend ein gewisser Märtyrer- respektive Heldenstatus zuteilwurde. Alle aber sich verdient gemacht habend in ihren Bemühungen, rechtsnationales Gedankengut und entsprechende Ideologien verbreitende Institutionen, Verbände, Gruppierungen tat- und finanzkräftig zu unterstützten. Gemeinschaftlich suhlte man sich im selbst produzierten Dreck wie die sprichwörtliche Sau vor dem Futtertrog. Es ging um Erarbeitung eines so wörtlich: „Masterplans für Deutschland. Um die Reinhaltung der deutschen Rasse, Verzeihung, Ethnie und eben darum, was notwendig wäre, dieses Ziel zu erreichen. Deportationen. ggf. unter Anwendung physischer Gewalt wären nur ein probates Mittel. Massen-Remigration, Ausweisung selbst Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft, Verbot von Ausübung bestimmter Gewerbe. Beschneidung von Religionsfreiheit wie der Ausübung kultureller Traditionen.- Wie gesagt. Ich spreche nicht von rechtsnationalem Pöbel. Primitiv in Auftreten und Sonderschuld-Rhetorik. Es waren Vertreter höchster Kreise. Vermögend. Intelligent, einflussreich. Zitat aus den Protokollen der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942: „Erklärtes Ziel muss es sein, den deutschen Lebensraum von fremd-rassischen Völkern zu säubern“. Hieran anlehnend die Bundestagsabgeordnete der AfD Gerrit Huy - Zitat: „Man müsste eine Art Trabantenstaat in Afrika installieren, in die man jene, man bezifferte die Zahl der zu deportierenden Bürger fremdländischer Herkunft mit 20. Millionen, verbringen könne. Unterstützer der bisherigen Zuwanderungspolitik könnten diese gleich begleiten.

Nun: hätte es nicht der Umstand mit sich gebracht, dass es dann doch nicht so klappte mit oberster Geheimhaltungsstufe, wäre es also nicht gelungen, ein paar aufgeweckte Journalisten der Institution für Recherche und investigativen Journalismus „Correktiv“ einzuschleusen, die die Öffentlichkeit auf sehr besondere Weise über die Inhalte dieses Treffens unterrichtete, in dem sie die Protokolle dem Berliner Ensemble zur Verfügung stellte, die hieraus spontan eine szenische Lesung vor voll besetzem Haus gaben. Das Bild des in Vorbereitung befindlichen Bösen hätte sich kaum offenbart. Ebenso wenig aber das Bild der Passivität einer Regierung und ihrer Organe, die wegschaut. Die des Handelns unfähig oder unwillig. Die eine seit Jahrzehnten schwelende und anwachsende Gefahr als solche nicht erkennt oder nicht erkennen will.

Von Zeit zu Zeit bringt die Geschichte Menschen hervor, die durch besondere Weise von sich reden machen. Menschen, die sich engagieren. Menschen von Format und Courage. Menschen, die sich, wenn es die Situation erfordert, auch unorthodoxer Mittel bedienen, etwas zu erreichen oder durchzusetzen, das ihnen selbst für den Augenblick vielleicht zum Schaden gereichen mag, der Allgemeinheit aber dienlich ist. Es war im April 1968, als die Bürgerrechtlerin Beate Klaasfeld ihrer Empörung über den Umstand, dass eine nicht unmaßgebliche Gestalt im NS-Staat, Kurt Georg Kiesinger, damals Bundeskanzler der 3. Bundesregierung nach Proklamation der BRD, diesem im hohen Hause des Deutschen Bundestages, dadurch Ausdruck verlieh, demselben vor laufenden Kameras eine schallende Ohrfeige zu erteilen. Es verfehlte seine Wirkung nicht. Kiesinger, dem so vehement daran gelegen war, den rechtsnational belasteten Teil seiner Biographie zu verschleiern, musste seinen Hut nehmen. Nun war Kiesinger kein Einzelfall. Den personellen Notstand der Regierung glich man mehr oder weniger gezwungenermaßen durch jene aus, über deren Vergangenheit man lieber Stillschweigen wahrte. Zitat Konrad Adenauer: „Man sollte schmutziges Wasser nicht wegschütten, solang man kein sauberes zu Verfügung hat.“ Diesem Grundsatz war es schlussendlich geschuldet, dass die Verfolgung der Täter in der jungen Bundesrepublik nur sehr unzureichend erfolgte. Man denke an die im Bundestag durchgesetzte Reform des Strafrechtes am 23.März 1965, die die Verjährung von NS Verbrechen rückwirkend auf den 01.Januar 1950 datierte. Es wurde später wieder aufgehoben, doch zunächst mochte es manchem derer, die Blut an ihren Händen trugen, den Hals gerettet haben.

Die Courage einer Beate Klaasfeld, sie hatten ihren Preis. Auch andere Aktionen, beispielsweise die geplante Entführung, also die gemäß geltender Gesetzte illegale, doch nach menschlichen Erwägungen gerechtfertigte Überstellung eines gewissen Kurt Lischka, im Krieg hoch dekoriert im Rang eines SS-Obersturmbannführers, maßgeblich verantwortlich für die Deportation von 75.000 französischer Juden, hierfür in Frankreich, in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, nach dem Krieg ein sorgenfreies Leben, wenige Kilometer entfernt der Grenze des Landes führend, das nach ihm fahndete. Die Folge, eine Haftstrafe, jedoch nicht etwa für den Mörder.

Vielleicht ist es manchmal notwendig, sich solch rechtsbeugender Methoden zu bedienen. Wenn diese auch nicht unmittelbar zum Ziel führte, so rüttelte sie doch die Öffentlichkeit auf. Zwang den Staat und seine Organe schließlich zum Handeln. Brachte es, dass schlussendlich doch eine rechtmäßige Verurteilung Lischkas im eigenen Land erfolgte. Der demokratische Rechtsstaat sieht Mittel vor, dies auch auf zivilem Weg zu erreichen. Dies aber bedarf einer Mehrheit. Einer denkenden, ggf. lauten Mehrheit. Die Schwäche der Demokratie besteht bekanntermaßen darin, dass sie auch der Dummheit eine Stimme gibt. Und diese, wie Erich Kästner schon in einem Gedicht beschreibt, pflanzt sich schnell und unkontrolliert von selber fort.

Der Geist der einstigen nationalsozialistischen Ideologie war immer existent. Äußerte sich in kleinen Gruppierungen. In der Bildung von Organisationen und Parteien. Aus ihr heraus ergingen Verbrechen, menschenverachtendes Unrecht. Sie bildete einen Teil der Gesellschaft. Fand ihren fruchtbaren Boden in gewissen sozialen Missständen. In Existenzängsten. In Desorientierung. Eine durchaus vergleichbare Situation zu der, aus der sich ab 1923 der NS-Staat einwickelte. So aber, wie wir die Geschichte hinterfragen müssen, ob es damals nicht zu verhindern gewesen wäre, so sollten wir diese Frage heute stellen und dies zu einem Zeitpunkt, da Schlimmstes noch zu verhindern ist, denn schließlich haben wir, das Volk, die Politik doch gelernt aus der Vergangenheit?

Am 06.Februar 2013 gründete sich eine Partei, deren erklärtes Ziel das Wiedererstarken eines völkisch- nationalen Bewusstseins ist, das sich über andere Völker, andere Kulturen, andere Ethnien erhebt. Diese ausgrenzt, sofern sie diesem Land nicht doch auf die ein oder andere Weise dienlich sind. Ich thematisiere hier bewusst nur diesen einen, gegen jedes Maß an Vernunft, an Humanismus, an Völkerverständigung in Sinne eines globalen Denkens, Teil des Parteiprogramms.

Noch einmal: Ein demokratischer Rechtsstaat soll und muss auch unliebsamen Lagern eine Bühne bieten. Dass aber genau das demokratische Recht, auf das sich populistische Parteien wie die AfD berufen, diese am Ende zerstört, was durchaus angestrebtes Ziel ist, das sich niederschlägt in Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, der Ausgrenzung von Minderheiten, der Einschränkung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und deren Rechte, die Instrumentalisierung und Ideologisierung von Kunst und Kultur, muss doch jedem noch so Verblendeten offensichtlich sein, zumal die Instrumente, derer diese Partei sich bedient, ihre Inhalte zu vermitteln, weit über die der manipulativen Rhetorik, die für sich allein genommen nicht selten den Tatbestand der Volksverhetzung nach §130 STGB erfüllt, hinausgehen.

Und die regierenden Parteien sehen angesichts dieser sich fortsetzenden Entwicklung der Vorbereitung staatlich legitimierten Terrors, die mittlerweile nicht einmal mehr hinter vorgehaltenen Hand stattfindet, „immer noch keinen Handlungsbedarf“. Zitat Michael Kretschmer. Dies alles stellt für mich eine eklatante Schwäche der amtierenden Regierung dar, die schon allein aus der Perspektive der Geschichte unter keinen Umständen zu billigen ist.

Blättern wir zum Vergleich noch einmal zurück in der Historie dieses Landes. Am 17.August 1956 erging das bisher einzige Parteiverbotsverfahren der Bundesrepublik gegen die KPD, der man Volksverhetzung vorwarf. In Sachen AfD hat man es bislang lediglich zum Beobachtungsstatus durch den Verfassungsschutz gebracht. Jene Institution, dies weiß man nicht erst seit der Anschlagsserie des NSU, der 10 Jahre lang ungestört in Deutschland morden konnte, die bekanntlich auf dem rechten Auge blind ist.

Noch ein Vergleich gefällig? Eine Episode, die die Verhältnismäßigkeit der Mittel ein wenig in den Vordergrund stellt. Am 05. Juni 2008 ereignete sich folgender Vorfall. Eine Gruppe Jugendlicher, Mitglieder der jungen Grünen, äußerte ihre Missbilligung gegenüber der damaligen Bundesregierung dadurch, dass sie vor einer Einrichtung der Bundeswehr den Mast einer Deutschlandfahne anpinkelte. Eine Tat, über deren Geschmack man streiten mag, die gem. § 90a StGB jedoch eine Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole darstellt, die mit Freiheitsentzug bis zu 3 Jahren geahndet werden kann. Ein harmloser Streich, gegen den das Gesetzt ein kategorisches Strafmaß vorsieht. Das Heraufbeschwören einer Situation, die die Grundfesten dieses Staates in Frage stellt. Die sie bekämpft und eine Gefährdungslage für die Zivilgesellschaftlich hervorruft, mit sträflicher Passivität zu begegnen; stellt für mich mindestens eines dar. Nämlich die Lächerlichkeit der hier zum Handeln verpflichteten Institutionen.

Ich glaube tatsächlich, es bedarf einer anderen Kraft, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Eine Kraft, die sich über die staatlichen Gewalten hinwegsetzt. Eine Revolution der Vernunft. Dass es funktioniert, haben wir in den letzten Tagen und Wochen erlebt, als bundesweit rund hunderttausende Menschen trotz Eiseskälte auf die Straße gingen, sich solidarisch zeigten mit all denen, gegen die diese Partei, die AfD und ihre Anhänger, nach Kräften zu Felde zieht. Ich spreche nicht von tätiger Gewalt. Ich spreche von deutlicher Verbundenheit. Von unablässigem Erheben der Stimme. Von Maßnahmen des zivilen Ungehorsams in einer Größenordnung, die den Staat zum Handeln zwingt. Die Parteien, die sich gegen die Verfassung des Landes stellen, in ihre Schranken weisen. Maßnahmen, die den Fortbestand eines sozialen Rechtsstaates gewährleisten. Wenn es erst soweit ist, dass rechte Parteien gewisse Positionen innerhalb der Gewalten besetzen, ist der Weg nicht mehr weit, diesen Rechtsstaat von innen heraus auszuhöhlen. Dies gilt es mit allen gebotenen Mitteln, oder was man für geboten erachtet, zu verhindern. Gewalt ist keine Lösung. Sie sprechen sich für Gewalt aus. Benennen es als Mittel, das ihnen angemessen erscheint, ihre Inhalte durchzusetzen. Wenn wir es ihnen gleichtun, ihnen mit ihrer Sprache antworten, ist die Sache verloren.

Hass und Zwietracht ist die Sprache der Unvernunft. Ich habe mich immer gegen die gewaltsame Beilegung von Konflikten ausgesprochen und werde es auch weiterhin mit aller Kraft tun. Aber wenn die schärfste Waffe, das Wort, abstumpft? Die Regierung Kiesinger wurde mir einer Ohrfeige zu Fall gebracht. Die Öffentlichkeit aufgerüttelt gegen einen von NS-Funktionären durchsetztem Regierungsapparat. Soweit darf es unter keinen Umständen kommen. Eine Ohrfeige wird dann nicht mehr genügen.

Die Hoffnung, eines Tages vielleicht doch zu einer befriedeten Gesellschaftsordnung im globalen Sinne zu gelangen, liegt nicht in militärischem Potential. Nicht in Großkapital von Banken und Versicherungen und Konzernen. Sie liegt nicht in der Befriedigung gedankenlosen Konsums. Nicht im von Parteien provozierten  Hass. Nicht in Missgunst. Nicht in Neid und nicht in der Angst, die aus all dem resultiert. Sie liegt im Geist und einen hieraus ergehenden sozialen Bewusstseins. In der Vernunft. In der Liebe.


Montag, 25. Dezember 2023

Versuch über einen Begriff

Ich weiß noch, dass Vater sich oft dieses Begriffs bediente, wenn er von dem Ort sprach, den er in seiner Kindheit verlassen musste. Er hatte etwas Feierliches in der Stimme, die nicht selten brach unter wehmütigen Gedanken. Melancholie, Trauer, etwas lassen zu müssen, noch dazu als Folge von Umständen, die das Furchtbarste offenbaren, dessen Menschen fähig sind. Ich spreche weniger von Krieg als von dem, was diesen damals wie heute vorangeht. Das Aussetzen von Verstand und Vernunft.

Ich war ein Kind. Zu klein, zu erfassen, was er meinte. Zuhause, das war für mich der Ort, an dem mein Hausschlüssel ins Schloss passte. War für mich eine Selbstverständlichkeit. Es war der Ort, an dem meine Eltern lebten. An dem ich die Schule besuchte. An dem Menschen lebten, die mein soziales Umfeld bildeten.

Dass es mehr ist als dies, sollte ich im Laufe meines Lebens erfahren.

Heute weiß ich, wovon Vater sprach. Zu Hause, das ist weniger ein physischer Ort als ein Ideal. Das sind Menschen, die dich lieben. Menschen, in deren Liebe du Schutz und Geborgenheit findest, die diese gleichermaßen durch dich erfahren. Menschen, die dich tragen. Die dich sehen und erkennen. Die dich nicht reduzieren auf deine Fehlbarkeiten. Dich nicht bewerten an Unzulänglichkeiten und Schwächen. Dich nicht bewerten an dem Nutzen, den sie durch dich erfahren.

Natürlich ist es ein Stück weit auch dieser andere Ort. Deine Adresse. Dein Haus. Deine Wohnung, die du dir nach Geschmack, Ermessen oder Möglichkeiten mehr oder weniger behaglich gestaltest. Aber all dies ist immer nur das Gefäß. Der Rahmen. Füllen können wir ihn auf die vielfältigste Art mit Dingen, die uns am Herzen liegen. Die unseren Vorstellungen von gutem Geschmack entsprechen. Ein Zuhause aber ist es erst dann, wenn diese Wärme und Behaglichkeit einem Gefühl entspringt, das vielleicht mit Worten kaum zu beschreiben ist. 

Ich glaube, dass Vater dies meinte, wenn er von Zuhause sprach.

Ich glaube überdies, dass ich mein Leben lang, zunächst unbewusst und von einer inneren, undefinierbaren Sehnsucht getrieben, nach dem suchte, was er meinte.

Sonderbarer Weise konnte er, konnte mir meine Familie diese Werte nie recht vermitteln. Das, was man ihm und seiner Generation nahm, der heranwachsenden Generation zu vermitteln, war ihm kaum gegeben. Aber die Sehnsucht nach all dem, ergehend aus dem, was ich in Vaters Miene las, wenn ich es auch damals und lange Zeit in Folge nicht recht deuten konnte, treibt mich bis zum heutigen Tag.

Bis zum letzten Tag seines Lebens sprach er von Zuhause. Ich glaube, er hat es nie mehr gefunden. Er hat ein Haus gebaut. Genoss soziale Sicherheit. Gründete eine Familie. Wie gesagt: Das Gefäß. Aber es zu füllen mit Inhalten, die man Liebe nennt, ist ihm nicht gelungen. Die Form von Liebe, nach der ich mein Leben lang suchte, nämlich anzukommen. Angenommen zu werden. Bleiben zu dürfen. Die Tür hinunter sich schließen zu können in der Gewissheit, hier gehörst du hin. Hier bist du zuhause...

Ich habe mein Leben nie nach materiellen Werten ausgerichtet. War ein Idealist. Ein Träumer. Ein Liebender. Erfuhr hierfür nicht selten Spott und Ausgrenzung. Werte trotz allem, denen ich bis zum Ende meines Weges folgen werde. Wenn ich es nicht finde, gehe ich eines Tages zumindest in der Gewissheit, mir selbst treu geblieben zu sein, sowie dem einen oder anderen gegeben zu haben, was ich selbst selten erfuhr.

Montag, 17. Juli 2023

Von Schuld und Sühne

Ein hochsommerlicher Sonntagnachmittag. Man lud zu Kaffee und Kuchen.  Temperaturen weit jenseits jeden Wohlgefühls, was zu einer gewissen Erschöpfung, hieraus wiederum resultierend eine leichten, später einsetzenden Reizbarkeit der um den Tisch Versammelten führen mochte. Man plauderte über den letzten Urlaub. Über Freizeitaktivitäten, denen man vielleicht gemeinsam nachgehen könnte. Über Nichtigkeiten, bemessen an einem späteren Themenschwerpunkt, der die Stimmung an jenem Nachmittag ein wenig zu kippen drohte. Ein Thema, dessen Gegenstand ein Ereignis gab, das zu diesem Zeitpunkt bereits einige Monate zurücklag.  

Eine Szene, die sich so hätte zutragen können im russischen Peredelkino. Gastgeber Leo Tolstoi. Unter den Gästen namhafte Persönlichkeiten vom Rang des Gastgebers, plaudernd, kontrovers diskutierend über mehr oder wenige bedeutsame Themen. 

Aber weit gefehlt.  Schauplatz dieser Handlung:  ein bürgerlicher Haushalt in der Mitte unserer Gesellschaft.

Das Stichwort fiel gewissermaßen in einer Redepause. In einem Moment also, der für einen Themawechsel geeignet schien. Geeignet auch, den, wie gesagt leichten Inhalten der bisherigen Konversation ein wenig Gewicht entgegenzusetzen.

Ein soziales Thema, dem ein Ereignis Motiv gab, das sich in einem Nahverkehrszug der Deutschen Bahn, nahe dem Bahnhof einer holsteinischen Kleinstadt, zutrug. Ein Ereignis, dessen Verlauf an Tragik kaum etwas Vergleichbares entgegenzusetzen war.

Ein im Zug befindlicher junger Mann, muss man erwähnen, dass er fremdländischer Herkunft war, bedrohte weitere Fahrgäste mit einem Messer. Sah sich in einer ausweglosen Situation, in deren Folge er wild um sich stach. Mehrere Menschen zum Teil schwer verletzte. Zwei junge Menschen gar tödliche Verletzungen zufügte. Eine weitere Person, Augenzeugin der Tat, nahm sich angesichts ihrer durch das Geschehen erlittenen Psychose einige Wochen später das Leben.

Wenige Tage vor der zu Beginn geschilderten Kaffeerunde unter Freunden, der Prozessauftakt gegen den vermeintlichen Täter.

Berichterstattung in allen regionalen wie überregionalen Medien. Eine Diskussion in einem Rundfunksender öffentlichen Rechts. Einer der Sendeformate, bei denen man als Zuhörer aufgefordert ist, sich per Telefon aktiv zu beteiligen. Ich hörte diesen Beitrag beiläufig, ohne dem Inhalten zunächst größeres Interesse zu schenken. Der Vorfall, ich nennen ihn bewusst (noch) nicht Verbrechen, lag wie gesagt einige Monate zurück und jeder weiß, dass sich in unserer überfrachteten Medienlandschaft die Halbwertszeit derartiger Meldungen eher gering bemisst. 
Am Telefon: Zu Worte kam ein Herr mittleren Alters, der eine sehr kategorisch, energische Haltung zum Umgang mit dem Mörder, wie aus seiner Sicht der Dinge also mit jenem zu verfahren sei, hatte. Ein wenig beschwichtigender, doch aus meiner Sicht sehr bedeutungsvoll die Worte einer Sprecherin, der für diesen Fall zuständigen Strafkammer. Man möge doch von dem Angeklagten in Person sprechen. Letztlich handele es sich um einen Menschen, dem das Recht auf einen fairen Prozess zustehe. Mörder sei er erst dann, wenn er des Mordes verurteilt sei. Und selbst dann handele es sich um ein menschliches Wesen mit einer Geschichte. Mit einem Tatmotiv und weiteren Umständen, die diesem grauenvollen Tathergang zugrunde lagen.

Freilich, ich erwähnte es schon, kein Thema, das in den Rahmen einer Kaffeetafel passte. Dennoch. Nun stand es im Raume. Wollte diskutiert werden. 

Nein, ich sprach mich nicht für den Täter aus. Soweit wollte ich nicht gehen.  Die Tat zu bagatellisieren. Den Schmerz der Opfer zu verunglimpfen, lag mir fern.  Worum es mir ging, war die Frage der Verantwortlichkeit. Die Frage der Schuld.

Ein Mann, den die Öffentlichkeit genau auf dies reduziert. Ein Mensch, der sich eines Verbrechens schuldig machte. Würde man diesen Mann der Öffentlichkeit überlassen, einer Öffentlichkeit, die noch unter dem unmittelbaren Einfluss der Tat stünde, eine Öffentlichkeit, die nicht einmal direkt betroffen sein müsste. Man würde ihn mit Knüppeln und Steinen erschlagen.

Dass dieser Mann, vielleicht Flüchtling aus einem Kriegsgebiet, möglicherweise selbst furchtbar traumatisiert war. Traumatisiert, weil er selbst Zeuge oder Opfer unvorstellbarer Verbrechen, staatlich legitimierten Unrechtes in Form einer menschenverachtenden Kriegsführung wurde, ist nicht von Belang.  Nicht in den Augen des Pöbels, der ihm mit geballter Faust entgegentritt.

Er war der Justiz nicht unbekannt. Mehrfach wegen verschiedener Delikte, Gewalttaten vorbestraft. Psychologische Gutachten rieten zu unbedingter Therapie. Unterbringung in entsprechenden Einrichtungen. Zur Hilfeleistung, die eben Schlimmeres verhindern möge. Nichts dergleichen geschah. Man verschleppte Entscheidungen. Schaute weg. Überließ den Dingen ihren Lauf, der in die Katastrophe mündete.

Am Ende des Tages bleibt sie offen. Die Frage der Schuld.  Das Gesetzt spricht unter Berücksichtigung besonderer Umstände von „Schuldunfähigkeit (auch klarer Zurechnungsunfähigkeit), die im Strafrecht den Grund gibt, die Rechtsschuld an einer Handlung auszuschließen.“  Darüber nun hat das Gericht zu entscheiden. Die Sprecherin der Kammer, die der Diskussion im Rundfunk beisaß, äußerte sich dahingehend, dass weder diesem Manne noch der Gesellschaft, in die er unter Umständen früher oder später wieder entlassen würde, mit einer Haftstrafe gedient sei.  Dieser Mann braucht Hilfe, die nur in einer Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung respektive entsprechender therapeutischer Maßnahmen bestehen könne. Ein Freispruch also unter der Auflage dieser Unterbringungsform. Dennoch ist der Frage der Schuld aus meiner Sicht nicht ausreichend Genüge getan. Das Argument einer der am Tisch versammelten Gäste, selbst Mutter zweier Kinder: „Was aber kann mein Kind dafür?“ Was können wir als Zivilgesellschaftlich dafür?  

Ich würde mir wünschen, dass sich jeder selbst diese Frage stellt.  Ich habe es für mich getan und kam zu dem Schluss, dass sich niemand, Kinder selbstverständlich ausgenommen, der Mitschuld an Taten wie dieser, ob sie nun in Hanau, in Solingen, in Hoyerswerda, in Eberswalde, Halle oder wo auch immer stattfinden, freisprechen sollte.

Eine Schuld, die in Passivität, im Wegschauen besteht. Eine Schuld in Form einer bestenfalls nur sehr bedingt funktionierenden Solidargemeinschaft. Eine Schuld mangelnden Verantwortungsbewusstseins füreinander.  Eine Schuld in unserm Konsumverhalten, deren unablässige Gier nach Mehrung und Wachstum und dies möglichst zu geringstmöglichem Aufwand, zu einem im globalen Sinne  sozialen Ungleichgewicht führt, das wiederum eine weiter vorantreibende Spaltung der Gesellschaft und somit unermessliches Leid zur Folge hat. Leid, das sich in Unzufriedenheit, in Flucht vor Armut und Elend, vielleicht auch in dem Gedanken, sich ggf. etwas von dem Reichtum zu nehmen, den man im eigenen Land für Billigstlöhne unter verheerenden Arbeitsbedingungen produziert, damit er dem Wohlstand des Westens Genüge tut.

Was auch immer den Grund für seine Flucht gab. Krieg. Soziale Not. Verderben. Wenn das Gericht ihn schuldig spricht, ist seine Tat vor dem Gesetz gesühnt. Das Problem aber ist damit nicht gelöst.

Ich klage nicht an, denn ich bin selbst Teil dieser Gesellschaft. Auch ich trage bei zu diesen Missständen und die Erkenntnis allein macht mich noch nicht zu einem Wohltäter. Aber vielleicht ist es ein erster Schritt zu einem veränderten Bewusstsein. Und vielleicht führt dies am Ende zu einem besseren Miteinander. Zu weniger Neid, Missgunst und Gewalt im Sinne einer global befriedeten Gesellschaftsordnung.



 

Samstag, 20. Mai 2023

Menschen 45

Wenn er an diese Stadt dachte, waren es weniger die Bilder, die sich den flüchtigen Blicken der Wochenend-Touristen offenbarten. Weniger die Eindrücke, die die Hochglanzbroschüren, die Internetseiten mutierter Reiseveranstalter, die manipulierten Kundenbewertungen wiedergaben in ihrem Bemühen, den legendären Charme des Savoir Vivre zu beschreiben, was hauptsächlich dem Absatz billiger Souvenirs made in Taiwan sowie schlechten Kaffees zu überhöhten Preisen diente.

Wenn er an diese Stadt dachte, waren es die kleinen Cafés mit ihrem abgewetzten Plüsch. Waren es die Bars und Bistros jenseits der ausgetretenen touristischen Pfade. Jenseits jeder Erreichbarkeit klimatisierter Sightseeing-Busse. Waren es die Haussmann-Fassaden, die den Geist der Belle Époque, des Fin de Siècle, des Dekadentismus widerspiegelten, hinter deren Fenstern und Portalen sich Geschichte zutrug, die in seiner Phantasie noch immer existierte.

Was er auf seinen Exkursionen durch die nächtliche Stadt fand, waren die Stimmungen, die sich Rilke in Gestalt seines Malte Laurids Brigge offenbarten. War es das, was Hemingway in seiner Hommage an diese Stadt als ein Fest fürs Leben beschrieb. War es das, was er in der winzigen Chocolaterie in einer schäbigen Seitenstraße fand, in der er mit seinem Mädchen saß, den besten Crêpe seines Lebens verzehrte, dem Kellner zuhörte, der in einer für ihn fremden Sprache unendliche Monologe hielt, deren Inhalt er trotz seiner Unkenntnis verstand. War diese Metro-Linie, die er nur aus dem einen Grund wieder und wieder fuhr, der Originalität der Lautsprecheransage in ihrem Hinweis auf die nun folgende Haltestation: „Saint-Germain-de-Prés? Saint-Germain-de-Prés!“ einmal als Frage, dass zweite Mal als Antwort formuliert, zu folgen.

Es sind die Versatzstücke, die in einer Symbiose aus Gegenwart und lebendiger Vergangenheit, aus Wirklichkeit und Legende, aus Ihren Farben und Gerüchen, Ihren Menschen, Ihrem Lärm und der Stille verwinkelter Gassen, die Besonderheit dieser Stadt ausmachen, die sich einem offenbart, wenn man bereit ist sich einzulassen.