Sonntag, 21. Juli 2019

"Was wolltest du mit dem Dolche...?"

Der deutsche Schriftsteller, Dramatiker und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, Enkel des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, wurde im Rahmen eines Interviews in Deutschlandfunk einmal gefragt, ob er selbst eines Verbrechens fähig wäre und welcher Art diese Verbrechen sei bzw. welches Motiv ihn derart handeln ließ? 
Seine Antwort lautete: „Zum Tyrannenmord.“ 

Dieses Zitat, diesen Gedanken, möchte ich meinem Artikel zum Gedenktag der Ereignisse um den 20. Juli 1944, die sich dieser Tage zum 75. Mal jähren, voranstellen. 

Das Gedenken, das an diesem Tag Graf Schenk von Stauffenberg gilt, möchte ich allerdings erweitern, weit über die Person Stauffenbergs und der mehr als 200 mitbeteiligten Verschwörer hinaus, die während der Verhaftungswellen und folgenden Prozesse in den Wochen und Monaten nach dem gescheiterten Attentat gegen Hitler, ihr Leben verloren. 

Erweitern nämlich um jeden Einzelnen, der während der Zeit des NS Regimes opponiert hat gegen einen verbrecherischen Staat. Was die Beteilitgen dieses Akts des 20. Juli 1944 versuchten, stand am Ende einer Reihe zahlreicher Bemühungen, die Regierung zu stürzen. Belegt sind 39 Attentatsversuche von Einzelpersonen oder Gruppierungen, die ihre Leben einsetzten, um das Leben von Millionen Opfern zu retten.
Die Frage, ob all dies in den Wirren der Weimarer Republik zu verhindern gewesen wäre, scheint müßig. Die Frage aber, in wieweit wir zulassen wollen, dass der Keim, aus dem all dies erwuchs, erneut Fürchte trägt, müssen wir uns stellen.  
Seit einigen Jahren erleben wir, dass rechte Gesinnung, die sich über einen langen Zeitraum meist nur in kleineren Gruppen bewegte, in die Parlamente dieses Landes, die Parlamente vieler europäischer und außereuropäischer Staaten, Einzug hält. Mit den gleichen Strategien, der gleichen hasserfüllten Terminologie, vermitteln selbstgerechte Agitatoren und Despoten die gleichen Inhalte, mit denen die Nationalsozialisten einst die Bevölkerung vergifteten. Mit perfidesten Mitteln, mit Lüge und Angst, Hass und Aufrufen zu Gewalt gegen Minderheiten, provozieren sie bellend und geifernd die Massen, die in ihrer Verblendung und der Aussicht auf Erfüllung der Versprechen einer wiedererlangten nationalen Identität, denen den Weg ebnen, die am Ende nicht nur sie ins Verderben führen werden. 
 Was haben wir diesen Tendenzen entgegenzustellen? Die Realität zeigt es deutlich. Argumente gegen diese Kräfte sind weitgehend mittellos. Begriffe wie Lügenpresse, wie linksversiffte Propaganda, sind nur die harmlosesten Formulierungen, derer man sich bedient. In den sozialen Netzwerken werden von den Honoratioren der Dummheit täglich Brände gelegte. Unter den jeweiligen Beiträgen kann man dann lesen, was des Volkes Wille ist. Forderungen nach bewaffneter Bürgerwehr, Anstachelung zu tätigen Übergriffen. Gewalttaten rechter Marodeure werden bagatellisiert. Anschläge gegen Politiker werden der Lächerlichkeit preisgegeben. 

Alles dies geschieht täglich. All dies wird zugelassen. Im Bundestag, anlässlich der Feierstunde zum Holocaust Gedenktag, hielt die Ausschwitzüberlebende und Historikerin Ruth Klüger eine bewegende Rede. Ein Statement gegen die Unmenschlichkeit, die Verrohung, das mit stehenden Ovationen honoriert wurde. Stehende Ovationen aller, außer der Damen und Herren der AfD Fraktion. Demonstrativ blieb man auf seinen Stühlen sitzen. Bedarf es eines deutlicheren Zeichens, dass es sich bei dieser Partei um eine, das Böse im Schilde führende Institution handelt? Eine Institution die sich selbst in ihrem Anspruch auf nationales Bewusstsein davor nicht scheut, den Heldentaten der Wehrmacht zu gedenken? Die das Mahnmal, das  der Toten des größten Verbrechens, das die Menschheitsgeschichte kennt, gedenkt, als Ort der Schande herabwürdigt? 
 Noch einmal: es geschieht, und wir lassen es zu.  
1956 wurde im zweiten deutschen Prozess um die Rechtmäßigkeit einer Partei, der KPD, nach fünfjährigem Verfahren ein Verbot verhängt. In der Urteilsbegründung hieß es unter anderen: 

Die Verfassungswidrigkeit der KPD werde auch mit ihrem „politischen Gesamtstil“ begründet, wofür das Bundesverfassungsgericht besonders aggressive Äußerungen anführte. Diese Äußerungen seien „Ausdruck einer planmäßigen Hetze, die auf die Herabsetzung und Verächtlichmachung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik abzielt. Ihr Ansehen soll geschmälert, das Vertrauen des Volkes auf die von ihr aufgerichtete Wertordnung soll erschüttert werden.“Es handle sich hierbei nicht um einzelne Entgleisungen, sondern lasse geplantes Vorgehen erkennen.“

Welcher dieser Punkte ist nicht anwendbar auf die AfD, die NPD oder andere Gruppierungen rechter Denk- und Handlungsweise? 
Gewalt im Sinne des Dominikaner Mönchs und Philosophs Thomas von Aquin (1235 n.Chr.) - 

„gewaltsamer Widerstand gegen die Tyrannei kann nicht als unrechtmäßiger Aufruhr (Seditio) bezeichnet werden, wenn die Tyrannei ein unerträgliches Maß (Excessus intolerabilis) erreicht hat, und keine gewaltfreien Mittel zur Verfügung stehen.“

kann und darf in einem demokratischen Rechtsstaat kein probates Mittel gegen diese Kräfte sein. Die Verfassung des Rechtsstaats sieht genug Mittel vor, diesen Strömungen entgegenzuwirken. Im Artikel 20 der Verfassung heißt es zudem: 

"Ziviler Widerstand ist geboten gegen jeden der es unternimmt, die Ordnung des Rechtsstaates  zu beseitigen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."  

Aber die Gesetzte und die Werkzeuge, die uns das Rechtssystem in die Hand legt,  um uns vor derartigen Brandstiftern zu schützen, sollten angewandt werden. Solang es noch möglich ist.