Dienstag, 7. Mai 2019

Gedanken zum Tag der Befreiung von NS-Terror und Gewaltherrschaft

Allerorts Gedenkveranstaltungen. Kranzniederlegungen, Reden, mahnende Worte. Der 08. Mai 2019. Jede Gruppierung, jeder gesellschaftliche und politische Flügel gedenkt auf seine Weise. Nie wieder Krieg, eint sie alle. Doch der Inhalt der Reden unterscheidet sie. Mir ging eine Mail des Ortsverbands der Linken der Stadt, in der ich lebe, zu. Anlässlich dieses Tages findet man sich zur Kranzniederlegung vor dem Mahnmal dieser Stadt zusammen, um der Millionen Toten des letzten Krieges zu gedenken. Mich persönlich bewegt dieser Tage vor allem eines: Vielleicht ist die Frage nach Opfern und Tätern pietätlos. Die Zahl der 50 Millionen Tote umfasst alle, die in diesem sinnlosen Krieg, so sinnlos wie jeder Krieg, ihr Leben ließen. Unter ihnen Angehörige des Militärs auf allen Seiten. Unter ihnen die Opfer des unbeschreiblichen Völkermordes an den Juden, den Roma, den Kommunisten, den Sozialdemokraten, den Homosexuellen und vielen Gruppen mehr. Ich kann nicht umfassend gedenken. Ich maße mir an, den Opferstatus nur denen zuzubilligen, die keine Schuld an diesem Krieg trugen. Dazu zählen die Menschen der genannten Gruppierungen. Dazu zählt die Zivilbevölkerung der überfallenen Nationen. Dazu zählen die, die ihr Land verteidigt haben gegen die vorrückenden deutschen Militärverbände und Marodeure. Dazu zählen die, die ihr Leben gaben, um dieses Land aus den Händen der Gewaltherrschaft der Nazis zu befreien. Dazu zählen die, die in beispielloser Zivilcourage sich gegen diesen Staat stellten.

Ich sprechen den Soldaten der Deutschen Wehrmacht keine unmittelbare Schuld zu. Sie beriefen sich stets, und tun es noch heute, auf ihren Befehlsnotstand. Doch mittelbar tragen auch sie Schuld an dieser Zweitauflage der Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Vor einigen Jahren löste eine Ausstellung, initiiert von J.P. Reemtsma, bundesweit Empörung, nicht nur bei den noch lebenden ehemaligen Soldaten der Armee des NS-Staates aus. Unter dem Titel "Verbrechen der Wehrmacht" zeigte diese Ausstellung erstmalig, dass es mit dem Heldenstatus nicht weit her war. Heute, 74 Jahre nach Ende des Krieges, haben wir wieder Kräfte in unserem Land, die an das Heldentum der Wehrmacht glauben. Zitat: Alexander Gauland: „Die Franzosen haben ihren Kaiser, die Briten Winston Churchill. Wir haben das Recht, stolz zu sein auf die Leistung der Wehrmacht im zweiten Weltkrieg.“ Im Subtext bedeuten dies nicht mehr und nicht weniger, als dass wir auf Adolf Hitler mit Stolz zurückblicken könnten.

Mit dem 8. Mai 1945, mit der Unterschrift auf der Kapitulationsurkunde in Berlin Karlshorst, kursierte vor allem ein Satz durch alle Schichten der Bevölkerung. „Wie haben von all dem ja nichts gewusst.“ All derer, die nichts gewusst haben, gedenke ich nicht an diesem Tag. All derer nicht, die 15 Jahre zuvor den Weg ebneten für eine Ideologie, die jeder Form menschliche Regung entbehrte. Nicht derer, die bereits seit 1923 „nicht wussten,“ obschon es für jeden schwarz auf weiß geschrieben stand in dem Fanal jener Zeit, "Mein Kampf", das millionenfach in den Regalen der deutschen Haushalte stand.
Den Nationalsozialismus hat es mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kapitulation am 08.05.1945 – 00:00 Uhr nicht mehr geben. Hat es augenscheinlich nie gegeben, wäre es nach der Haltung vieler Deutscher gegangen. Ausgelöscht in den Köpfen. Ausgelöscht aus dem Gedächtnis einer Nation. Die Adenauer Regierung hat Ihren Teil dazu beigetragen. Beispielgebend hierfür steht der gesamte Justizapparat, der zu 80% aus z.T. hochverdienten Honoratioren der NSDAP sowie Juristen, die Blut an den Händen hatten, bestand.

All ihrer gilt mein Gedenken nicht. Ich gedenke der wirklichen Opfer dieser Jahre. Und ich gemahne mit Nachdruck, dass die heutige und die kommende Generation wachsamer sein soll gegen aufkeimende Tendenzen der Gewalt, der Unterdrückung, der Stimmen von rechts, deren Vertreter, wie vor drei Generationen schon, ihren krankhaften Geist in Form von Hassreden,  in Form von Inszenierungen, mit denen sie das Deutschtum wieder über alles in der Welt stellen wollen, unters Volk mischen. So hat es einst begonnen und jeder halbwegs vernunftbegabte Geist weiß, worin es endete. In Gedenkveranstaltungen nämlich an 50 Millionen ausgelöschter Menschenleben.