Charlotte Knobloch, Auschwitzüberlebende und ehemalige Vizepräsidentin des jüdischen Weltkongresses, nannte es mal den Durchlauferhitzer für Hass und Gewalt. Die Rede ist von einer Institution, die anders gedacht war. Gedacht als Medium der Vernetzung der Welt, nicht nur im wirtschaftlichen Sinne. Als Medium des Informationsaustausches der Wissenschaft. Medium, das Bildung zugänglicher macht. Medium, das Menschen durch sogenannte soziale Netzwerke miteinander in Kommunikation setzt. Einander näher bringt.
Ausgerechnet er nun, einer der Entwickler des Internets, Schöpfer des Begriffs Virtuell Reality, der Kanadier Jaron Lanier, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, verliehen 2018 in der Frankfurter Paulskirche, wandelte sich zu einem der aktivsten Netzwerkkritiker. Benennt es als „grandiose Fehlkonstruktion“. Mahnt durch Bücher und Vorträge die Weltöffentlichkeit unablässig zu einem umsichtigen und gewissenhafteren Umgang. Es ist entartet. So war es nicht gedacht.
Natürlich ist es naiv zu glauben, dass Erfindungen ausschließlich dem Guten dienen. Da war die Erfindung des Papiers, das die Übermittlung von Nachrichten in schriftlicher Form ermöglichte. Da waren Guttenbergs bewegliche Blei-Lettern, die der Erstellung von Druckerzeugnissen gewaltigen Umfangs, respektive dem Buchdruck dienten. Das erste Massenmedium, die Lutherbibel, die dem Kirchenstaat, dem kaum an einer gebildeten, aufgeklärten Bevölkerung gelegen war, den Garaus machte.
Vergleichbar ohne Frage, die Weiterentwicklung bis in die Gegenwart. Die Massenmedien unserer Zeit. Das weiße Blatt, das neben dem Tugendhaften, neben dem Verbreiten von Erkenntnissen und Wahrheit auch dem Gegenteil in die Hände spielte. Der Provokation durch gezielt gesetzte Skandale, der Verbreitung der Lüge, der Manipulation, dem Säen von Unfrieden durch Hass und Hetze. Und stetig entwickeln wir neue Mechanismen, die es dem Geist schwer machen, den Ungeist zu erkennen. Die es hingegen dem Ungeist erleichtern, sein Gift zu verstreuen. Das Gift, das in der Dummheit oder den aus Bequemlichkeit Denkfaulen unter den Konsumenten so fruchtbaren Boden findet.
Einmal in der Welt, hat das Böse immer einen gewissen Vorlauf. Hat es leicht im „World-Wide-Web“. Nutzt die „dunkle Seite der (Internet) Macht“, das sogenannte Darknet, in dem sie sich nahezu ungestört bedienen, die Brandstifter, die sich Radikalisierenden, eben der Ungeist, für ihren Feldzug gegen Rechtsstaat und Frieden. Bis man es enttarnt, vergeht Zeit. Entwickelt sich eine gewisse Dynamik. Entwickeln sich weit verbreitete Netzwerke, die kaum mehr zu beherrschen sind. Illegaler Handel mit Drogen. Mit Waffen aller Art. Darüber Prostitution, Menschenhandel in globaler Dimension.
Dass
das Internet nicht das Paradies ist, das sich anfangs viele erträumt
hatten, ist inzwischen den meisten klar. Die Schuld an diesen
Fehlentwicklungen rund um das Netz wird in der Regel den großen
Internet- und Tech-Konzernen wie Facebook oder Google zugeschrieben.
Für den Virtual-Reality-Pionier und Internet-Kritiker Jaron Lanier
ist das jedoch nur die eine Seite der Wahrheit. Ihm zufolge hat auch
die Technik-Community ihren Teil dazu beigetragen, dass das Netz
heute „ruiniert“ ist, wie er sagt.
Aber
vielleicht übersieht man auf der Suche nach dem Schuldigen noch
einen weiteren Aspekt. Und ich denke hier besteht der größte Teil
des Handlungsbedarfs. Den genannten Konzernen ist vordergründig an
kommerziellen Erfolgen gelegen. Von dieser Strategie werden sie sich
kaum distanzieren. Für mich aber liegt die Schuld, wenn von Schuld
überhaupt zu reden ist, beim Adressaten. Beim Nutzer. Bei jedem,
der sich manipulieren lässt durch Halb- und Unwahrheiten, deren
Quellen oft so transparent sind, das sie auch den Dümmsten offenbar
werden müssten.Oder bei denen, die mit wissenschaftlicher
Raffinesse, mit Leidenschaft und Enthusiasmus Dinge entwickelten, die
dem Fortschritt der Zivilisation dienten. Nicht ihrer Vernichtung.
Kann man die Erfindung des Rads verurteilen, das den Ackerbau vereinfachte, den Handel im größeren Rahmen, aber auch die Logistik von Kriegsgerät ermöglichte? Den Ausbau der Bahn, der Nationen miteinander verband, uns Reisen ließ, der aber auch millionenfache Deportationen ermöglichte? Die Erfindung des Dynamit, das den Bergbau, den Straßenbau vereinfachte, in die falschen Hände geraten aber zur verherenden Waffe verkam?
Sich dem Fortschritt zu verweigern, war schon zu Zeiten der Erfindung des Buchdrucks ausgemachter Irrsinn. Mit der Erfindung des Internets ist es nichts anderes. Mit Erfindungen, mit denen sich nun heranwachsende Generationen auseinanderzusetzen haben, beispielsweise der Künstlichen Intelligenz, wird es sich ebenso darstellen. Sie kann sich zum Segen, kann sich zum Fluch entwickeln. Es werden Kontrollmechanismen und Regulierungsbehörden geschaffen, die Schlimmstes zu verhindern suchen. Doch versucht werden wird es durch jene, denen an allem anderen gelegen ist, nur nicht an Fortschrittsgeist im positiven Sinne.
Setzen wir also auf Aufklärung und Bildung. Auf gesunden Verstand, auf Neugierde und hieraus resultierende, auch unbequeme Fragen und auf das freie Denken, das wir uns weder von denen, die uns die Lüge als Wahrheit verkaufen wollen, noch von Maschinen- und Softwaretechnologie aus der Hand nehmen lassen dürfen. Wie schaffen uns Bedingungen, denen wir in Teilen heute schon nicht mehr gewachsen sind. Situationen, die uns nicht mehr unterscheiden lassen zwischen Fake, Deepfake (Neudeutsch) und Wahrheit.
Jaron Lanier ist kein Feind des Internets, wie er mehrfach betont. Ihm geht es aber darum, die sozialen Netzwerke und deren Macht wahrzunehmen, damit das Silicon Valley Raum erhält, „um an sich zu arbeiten“. Solch ein Erziehungsgedanke mag naiv klingen. Wenn man aber bedenkt, wie wenig die bisher eingeleiteten Regulierungen gegen die Schattenseiten der Netzkommunikation ausrichten konnten, fragt man sich schon, ob es nicht an der Zeit ist, solch alternativen Schocktherapien Folge zu leisten. Machen sie den Nutzer doch wieder zu dem, wofür das Netz mal stand: zum frei denkenden Geist im Sinne von Nachhaltig in Fortschritt und Frieden.