Montag, 29. Januar 2024

„J'accuse“ - Ich klage an:

Ort des Schauspieles: Das renommierte Landhaus Adlon in Potsdam. Man lud zum geheimen Treffen am „geheimen“ Ort. Sie erkennen die Ironie? Auch diesmal mit „anschließendem Frühstück“? In der Historie Bewanderte werden wissen, worauf ich anspiele. Man schmückte sich mit Honoratioren einer gewissen Partei, sich präsentierend unter müllsackblauem Logo. Schmückte sich mit geladenen Gästen aus allen Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik. Nicht zu vergessen Delegierte rechtsnationaler, völkischer Verbände, strafrechtlich in Erscheinung getretene, rechtskräftig verurteilte Gewalttäter, denen voreilend ein gewisser Märtyrer- respektive Heldenstatus zuteilwurde. Alle aber sich verdient gemacht habend in ihren Bemühungen, rechtsnationales Gedankengut und entsprechende Ideologien verbreitende Institutionen, Verbände, Gruppierungen tat- und finanzkräftig zu unterstützten. Gemeinschaftlich suhlte man sich im selbst produzierten Dreck wie die sprichwörtliche Sau vor dem Futtertrog. Es ging um Erarbeitung eines so wörtlich: „Masterplans für Deutschland. Um die Reinhaltung der deutschen Rasse, Verzeihung, Ethnie und eben darum, was notwendig wäre, dieses Ziel zu erreichen. Deportationen. ggf. unter Anwendung physischer Gewalt wären nur ein probates Mittel. Massen-Remigration, Ausweisung selbst Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft, Verbot von Ausübung bestimmter Gewerbe. Beschneidung von Religionsfreiheit wie der Ausübung kultureller Traditionen.- Wie gesagt. Ich spreche nicht von rechtsnationalem Pöbel. Primitiv in Auftreten und Sonderschuld-Rhetorik. Es waren Vertreter höchster Kreise. Vermögend. Intelligent, einflussreich. Zitat aus den Protokollen der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942: „Erklärtes Ziel muss es sein, den deutschen Lebensraum von fremd-rassischen Völkern zu säubern“. Hieran anlehnend die Bundestagsabgeordnete der AfD Gerrit Huy - Zitat: „Man müsste eine Art Trabantenstaat in Afrika installieren, in die man jene, man bezifferte die Zahl der zu deportierenden Bürger fremdländischer Herkunft mit 20. Millionen, verbringen könne. Unterstützer der bisherigen Zuwanderungspolitik könnten diese gleich begleiten.

Nun: hätte es nicht der Umstand mit sich gebracht, dass es dann doch nicht so klappte mit oberster Geheimhaltungsstufe, wäre es also nicht gelungen, ein paar aufgeweckte Journalisten der Institution für Recherche und investigativen Journalismus „Correktiv“ einzuschleusen, die die Öffentlichkeit auf sehr besondere Weise über die Inhalte dieses Treffens unterrichtete, in dem sie die Protokolle dem Berliner Ensemble zur Verfügung stellte, die hieraus spontan eine szenische Lesung vor voll besetzem Haus gaben. Das Bild des in Vorbereitung befindlichen Bösen hätte sich kaum offenbart. Ebenso wenig aber das Bild der Passivität einer Regierung und ihrer Organe, die wegschaut. Die des Handelns unfähig oder unwillig. Die eine seit Jahrzehnten schwelende und anwachsende Gefahr als solche nicht erkennt oder nicht erkennen will.

Von Zeit zu Zeit bringt die Geschichte Menschen hervor, die durch besondere Weise von sich reden machen. Menschen, die sich engagieren. Menschen von Format und Courage. Menschen, die sich, wenn es die Situation erfordert, auch unorthodoxer Mittel bedienen, etwas zu erreichen oder durchzusetzen, das ihnen selbst für den Augenblick vielleicht zum Schaden gereichen mag, der Allgemeinheit aber dienlich ist. Es war im April 1968, als die Bürgerrechtlerin Beate Klaasfeld ihrer Empörung über den Umstand, dass eine nicht unmaßgebliche Gestalt im NS-Staat, Kurt Georg Kiesinger, damals Bundeskanzler der 3. Bundesregierung nach Proklamation der BRD, diesem im hohen Hause des Deutschen Bundestages, dadurch Ausdruck verlieh, demselben vor laufenden Kameras eine schallende Ohrfeige zu erteilen. Es verfehlte seine Wirkung nicht. Kiesinger, dem so vehement daran gelegen war, den rechtsnational belasteten Teil seiner Biographie zu verschleiern, musste seinen Hut nehmen. Nun war Kiesinger kein Einzelfall. Den personellen Notstand der Regierung glich man mehr oder weniger gezwungenermaßen durch jene aus, über deren Vergangenheit man lieber Stillschweigen wahrte. Zitat Konrad Adenauer: „Man sollte schmutziges Wasser nicht wegschütten, solang man kein sauberes zu Verfügung hat.“ Diesem Grundsatz war es schlussendlich geschuldet, dass die Verfolgung der Täter in der jungen Bundesrepublik nur sehr unzureichend erfolgte. Man denke an die im Bundestag durchgesetzte Reform des Strafrechtes am 23.März 1965, die die Verjährung von NS Verbrechen rückwirkend auf den 01.Januar 1950 datierte. Es wurde später wieder aufgehoben, doch zunächst mochte es manchem derer, die Blut an ihren Händen trugen, den Hals gerettet haben.

Die Courage einer Beate Klaasfeld, sie hatten ihren Preis. Auch andere Aktionen, beispielsweise die geplante Entführung, also die gemäß geltender Gesetzte illegale, doch nach menschlichen Erwägungen gerechtfertigte Überstellung eines gewissen Kurt Lischka, im Krieg hoch dekoriert im Rang eines SS-Obersturmbannführers, maßgeblich verantwortlich für die Deportation von 75.000 französischer Juden, hierfür in Frankreich, in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, nach dem Krieg ein sorgenfreies Leben, wenige Kilometer entfernt der Grenze des Landes führend, das nach ihm fahndete. Die Folge, eine Haftstrafe, jedoch nicht etwa für den Mörder.

Vielleicht ist es manchmal notwendig, sich solch rechtsbeugender Methoden zu bedienen. Wenn diese auch nicht unmittelbar zum Ziel führte, so rüttelte sie doch die Öffentlichkeit auf. Zwang den Staat und seine Organe schließlich zum Handeln. Brachte es, dass schlussendlich doch eine rechtmäßige Verurteilung Lischkas im eigenen Land erfolgte. Der demokratische Rechtsstaat sieht Mittel vor, dies auch auf zivilem Weg zu erreichen. Dies aber bedarf einer Mehrheit. Einer denkenden, ggf. lauten Mehrheit. Die Schwäche der Demokratie besteht bekanntermaßen darin, dass sie auch der Dummheit eine Stimme gibt. Und diese, wie Erich Kästner schon in einem Gedicht beschreibt, pflanzt sich schnell und unkontrolliert von selber fort.

Der Geist der einstigen nationalsozialistischen Ideologie war immer existent. Äußerte sich in kleinen Gruppierungen. In der Bildung von Organisationen und Parteien. Aus ihr heraus ergingen Verbrechen, menschenverachtendes Unrecht. Sie bildete einen Teil der Gesellschaft. Fand ihren fruchtbaren Boden in gewissen sozialen Missständen. In Existenzängsten. In Desorientierung. Eine durchaus vergleichbare Situation zu der, aus der sich ab 1923 der NS-Staat einwickelte. So aber, wie wir die Geschichte hinterfragen müssen, ob es damals nicht zu verhindern gewesen wäre, so sollten wir diese Frage heute stellen und dies zu einem Zeitpunkt, da Schlimmstes noch zu verhindern ist, denn schließlich haben wir, das Volk, die Politik doch gelernt aus der Vergangenheit?

Am 06.Februar 2013 gründete sich eine Partei, deren erklärtes Ziel das Wiedererstarken eines völkisch- nationalen Bewusstseins ist, das sich über andere Völker, andere Kulturen, andere Ethnien erhebt. Diese ausgrenzt, sofern sie diesem Land nicht doch auf die ein oder andere Weise dienlich sind. Ich thematisiere hier bewusst nur diesen einen, gegen jedes Maß an Vernunft, an Humanismus, an Völkerverständigung in Sinne eines globalen Denkens, Teil des Parteiprogramms.

Noch einmal: Ein demokratischer Rechtsstaat soll und muss auch unliebsamen Lagern eine Bühne bieten. Dass aber genau das demokratische Recht, auf das sich populistische Parteien wie die AfD berufen, diese am Ende zerstört, was durchaus angestrebtes Ziel ist, das sich niederschlägt in Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, der Ausgrenzung von Minderheiten, der Einschränkung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und deren Rechte, die Instrumentalisierung und Ideologisierung von Kunst und Kultur, muss doch jedem noch so Verblendeten offensichtlich sein, zumal die Instrumente, derer diese Partei sich bedient, ihre Inhalte zu vermitteln, weit über die der manipulativen Rhetorik, die für sich allein genommen nicht selten den Tatbestand der Volksverhetzung nach §130 STGB erfüllt, hinausgehen.

Und die regierenden Parteien sehen angesichts dieser sich fortsetzenden Entwicklung der Vorbereitung staatlich legitimierten Terrors, die mittlerweile nicht einmal mehr hinter vorgehaltenen Hand stattfindet, „immer noch keinen Handlungsbedarf“. Zitat Michael Kretschmer. Dies alles stellt für mich eine eklatante Schwäche der amtierenden Regierung dar, die schon allein aus der Perspektive der Geschichte unter keinen Umständen zu billigen ist.

Blättern wir zum Vergleich noch einmal zurück in der Historie dieses Landes. Am 17.August 1956 erging das bisher einzige Parteiverbotsverfahren der Bundesrepublik gegen die KPD, der man Volksverhetzung vorwarf. In Sachen AfD hat man es bislang lediglich zum Beobachtungsstatus durch den Verfassungsschutz gebracht. Jene Institution, dies weiß man nicht erst seit der Anschlagsserie des NSU, der 10 Jahre lang ungestört in Deutschland morden konnte, die bekanntlich auf dem rechten Auge blind ist.

Noch ein Vergleich gefällig? Eine Episode, die die Verhältnismäßigkeit der Mittel ein wenig in den Vordergrund stellt. Am 05. Juni 2008 ereignete sich folgender Vorfall. Eine Gruppe Jugendlicher, Mitglieder der jungen Grünen, äußerte ihre Missbilligung gegenüber der damaligen Bundesregierung dadurch, dass sie vor einer Einrichtung der Bundeswehr den Mast einer Deutschlandfahne anpinkelte. Eine Tat, über deren Geschmack man streiten mag, die gem. § 90a StGB jedoch eine Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole darstellt, die mit Freiheitsentzug bis zu 3 Jahren geahndet werden kann. Ein harmloser Streich, gegen den das Gesetzt ein kategorisches Strafmaß vorsieht. Das Heraufbeschwören einer Situation, die die Grundfesten dieses Staates in Frage stellt. Die sie bekämpft und eine Gefährdungslage für die Zivilgesellschaftlich hervorruft, mit sträflicher Passivität zu begegnen; stellt für mich mindestens eines dar. Nämlich die Lächerlichkeit der hier zum Handeln verpflichteten Institutionen.

Ich glaube tatsächlich, es bedarf einer anderen Kraft, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Eine Kraft, die sich über die staatlichen Gewalten hinwegsetzt. Eine Revolution der Vernunft. Dass es funktioniert, haben wir in den letzten Tagen und Wochen erlebt, als bundesweit rund hunderttausende Menschen trotz Eiseskälte auf die Straße gingen, sich solidarisch zeigten mit all denen, gegen die diese Partei, die AfD und ihre Anhänger, nach Kräften zu Felde zieht. Ich spreche nicht von tätiger Gewalt. Ich spreche von deutlicher Verbundenheit. Von unablässigem Erheben der Stimme. Von Maßnahmen des zivilen Ungehorsams in einer Größenordnung, die den Staat zum Handeln zwingt. Die Parteien, die sich gegen die Verfassung des Landes stellen, in ihre Schranken weisen. Maßnahmen, die den Fortbestand eines sozialen Rechtsstaates gewährleisten. Wenn es erst soweit ist, dass rechte Parteien gewisse Positionen innerhalb der Gewalten besetzen, ist der Weg nicht mehr weit, diesen Rechtsstaat von innen heraus auszuhöhlen. Dies gilt es mit allen gebotenen Mitteln, oder was man für geboten erachtet, zu verhindern. Gewalt ist keine Lösung. Sie sprechen sich für Gewalt aus. Benennen es als Mittel, das ihnen angemessen erscheint, ihre Inhalte durchzusetzen. Wenn wir es ihnen gleichtun, ihnen mit ihrer Sprache antworten, ist die Sache verloren.

Hass und Zwietracht ist die Sprache der Unvernunft. Ich habe mich immer gegen die gewaltsame Beilegung von Konflikten ausgesprochen und werde es auch weiterhin mit aller Kraft tun. Aber wenn die schärfste Waffe, das Wort, abstumpft? Die Regierung Kiesinger wurde mir einer Ohrfeige zu Fall gebracht. Die Öffentlichkeit aufgerüttelt gegen einen von NS-Funktionären durchsetztem Regierungsapparat. Soweit darf es unter keinen Umständen kommen. Eine Ohrfeige wird dann nicht mehr genügen.

Die Hoffnung, eines Tages vielleicht doch zu einer befriedeten Gesellschaftsordnung im globalen Sinne zu gelangen, liegt nicht in militärischem Potential. Nicht in Großkapital von Banken und Versicherungen und Konzernen. Sie liegt nicht in der Befriedigung gedankenlosen Konsums. Nicht im von Parteien provozierten  Hass. Nicht in Missgunst. Nicht in Neid und nicht in der Angst, die aus all dem resultiert. Sie liegt im Geist und einen hieraus ergehenden sozialen Bewusstseins. In der Vernunft. In der Liebe.