Donnerstag, 8. September 2022

Von Schuld und Sühne. Von Narren und Narreteien.

Irgendjemand hat einmal gesagt: „Angesichts aller Katastrophen, die tagtäglich auf der Welt, die mittlerweile vor der eigenen Türe geschehen, bin ich doch froh, dass ich sie in Europa erleben muss.“

Drei Jahre Pandemie. Wenn auch nicht die Folgenschwerste, so doch die längste, die die Menschheit in der Historie ihrer Entwicklung, wobei, sollten wir indes nicht von Devolution, von Rückentwicklung sprechen, verursacht hat. Stolpern Sie über den Begriff „verursacht“? Wie wollen Sie es denn nennen, wenn eine schwelende Gefahr als solche nicht erkannt wird. Wenn wir, wider besseres Wissen, gegen jede Vernunft handeln? Wenn wir uns, weil uns die Wahrheit zu unbequem erscheint, sich selbst beweihräuchernden Wohltätern mit ihren pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Selbstbaukasten für wissenschaftliche Theorien, dem Durchlauferhitzer für Ungeist und Dummheit, dem Internet, zuwenden, weil eben die Wahrheit schon immer recht unbequem war? Das Angebot ist groß im Supermarkt der Erkenntnisse. Da ist für jeden noch so queer denkenden Kleingeist etwas Maßgeschneidertes dabei. Dass sich die Darstellungen der Theorien jener, denen es vordergründig um Profilierung zweifelhafter Persönlichkeitsstrukturen geht, lediglich auf die Packungsbeilage beschränken, inhaltlich jedoch kaum überzeugen, ist nicht von Bedeutung. Es reicht doch, eine Schlagzeile zu lesen. BILDung ist hier nicht gefragt.

Ja, wir haben es verursacht. Wir haben geschrien nach Freiheit. Gepocht auf das verbriefte Recht auf Selbstbestimmung, unterstützt von namhaften Größen aus Politik, Medien und der Unterhaltungsindustrie, die aufriefen zum Kampf gegen jedwede Einschränkungen. Aufriefen zum Kampf gegen die Vernunft, weil Vernunft im Gesetzestext keine Entsprechung findet. Der Ruf nach Freiheit! Albert Camus schreibt in seinem 1956 erschienen Buch: Der Fall: „Am Ende jeder Freiheit steht ein Urteilsspruch.“ Aber auch vor dem verschließen wir nur zu gern die Augen. Wenden uns ab. Verweisen auf Dritte, die wir aufs Schafott zerren, wenn es denn schief gegangen ist. Politiker schimpfen wir unfähig und inkompetent. Wir haben sie gewählt, auf dass sie für uns denken. Mit der Abgabe der Stimme an der Urne, so will man meinen, legen wir auch unser Gewissen ab. Sie sind schuldig. Wir selbst sind es nie gewesen.

Dieser Tage jährte sich ein Ereignis, in deren Folge rund 200 Menschen ihr Leben, Tausende ihre Existenz verloren. Das Ahr-Hochwasser. Ein friedlich dahinfließender Bach wurde binnen Stunden zu einem reißenden Strom. Die Flut versiegte. Das Ausmaß der Katastrophe wurde offensichtlich. Unermessliches menschliches Leid und der Urteilsspruch „SCHULDIG“: Schuldig die Verantwortlichen der Kommunen, des Landes. Bürgermeister, Landräte, Ministerpräsidenten. Sicher gab es Fehler. Sicherheitssysteme wurden zu spät oder gar nicht in Kraft gesetzt. Fehleinschätzungen, Gleichgültigkeit führte zur Katastrophe. Wenn wir aber die Frage stellen nach dem, was diese Katastrophe verursacht hat, was ihr voranging, sollten wir den Kreis über die genannten hinaus erweitern. Begradigte Flussläufe im Sinne der Wirtschaftlichkeit. Uferbebauung, weil es so schön ist am Wasser zu leben. Versiegelung natürlicher Überschwemmungsflächen und nicht zuletzt die Folgen der Veränderung klimatischer Bedingungen, vor denen seit in Kraft treten der Kioto-Protokolle von 1997 bzw. 2005 unablässig gewarnt wird. Warnungen, die bis zum heutigen Tag ohne nennenswerte Wirkung blieben, nicht allein, weil es an entsprechender Gesetzgebung fehlt. Nein, weil jeder Einzelne, nahezu ausnahmslos, zu bequem ist, seinen Beitrag zur Besserung der Gesamtsituation zu leisten.

All das hat seinen Preis, wie A.Camus in seinem Werk schreibt. Wenn wir Freiheit wollen. Freiheit, die sich in uneingeschränktem Konsumverhalten niederschlägt. Wenn wir nicht bereit sind zu verzichten, wobei dieser Verzicht ja nicht einmal mit eingeschränkter Lebensqualität einher gehen muss, sondern lediglich ein Konsumverhalten in Abstimmung mit den Verhältnissen, den natürlichen Gegebenheiten bedeutet, werden wir in naher Zukunft einen viel höheren Preis zahlen.

Zwei Jahre Pandemie. Einschränkungen, unablässige Appelle an Verstand und Vernunft. Hätten wir die Zeit doch genutzt, uns auf uns selbst zu besinnen. Unser Verhalten zu reflektieren. Uns anderer Werte zu besinnen, als die, welche maßgeblich zu den Katastrophen unserer und zukünftiger Tage beitragen. Nichts davon geschah. Wir machen weiter wie bisher. Trennen unseren Plastikmüll, statt darauf zu achten, erst gar keinen zu produzieren. Im vergangenen Jahr exportiere Deutschland rund eine Million Tonnen Plastikmüll nach China. 400 Millionen Tonnen umfasst die Menge des weltweit produzieren Plastikmülls pro Jahr.

Wir fliegen weiter nach Herzenslust in den Urlaub. Der C02 Ausstoß pro Fluggast auf einem Flug von Frankfurt nach Mallorca beträgt rund 0,8 Tonnen. Laut Berechnung der UNWTO; der Weltorganisation für Tourismus, betrugen im Jahr vor der Corona-Pandemie die weltweiten grenzüberschreitenden Reiseankünfte 1,6 Milliarden. Tendenz steigend. Das ist die vielbeschworene Freiheit.

Ich nehme mir die Freiheit zu verzichten. Mich nicht manipulieren zu lassen von Billigangeboten per Flug und Schiff die Schönheiten der Welt zu bewundern, weil sie vor meine eigenen Haustür ebenso stattfinden. Ich verzichte auf 5 Sterne Hotels an fernen Gestaden, unmittelbar angrenzend an Slums und Townships, in denen Menschen ein erbärmliches Dasein fristen. Einen Fußweg von mehreren Kilometern durch unwegsames Gelände zurücklegen müssen, um ihren täglichen Bedarf von 5 Litern Trinkwasser zu decken, während in genannten Hotels, 500 Meter weiter, die Touristen in 5000 qm frischwassergefüllten Pools entspannen.

Epilog:

Wir sprechen von Armut, wenn wir nur einen Betrag zum Leben zur Verfügung haben, der sich an unteren Einkommensgrenzen bemisst. Ich zähle mich selbst dazu, doch spreche ich von Reichtum angesichts eines trotzdem gefüllten Kühlschranks. Angesichts frischen Wassers, wahlweise heiß oder kalt, das noch  immer unbegrenzt aus der Wasserleitung fließt. Ich spreche von Reichtum angesichts eines festen Daches über meinem Kopf. Angesichts dessen, in weitgehender, auch sozialer Sicherheit zu leben, weil neben den genannten Punkten auch im Katastrophenfall eine vorbildliche medizinische Versorgung gewährleistet ist. All das betrachte ich nicht als Selbstverständlichkeit, betrachte es als Privileg. Den Opfern von Naturkatastrophen wurde es genommen. Die Menschen in den ärmsten Regionen der Welt, hatten nie eine Chance darauf. Ein wenig Dankbarkeit und Demut vor diesen Werten stünde uns gut zu Gesicht. Gedankenloser Konsum jedoch, ist in keinem Fall die Lösung.