Schlichtheit macht diesen Ort aus. Nüchterne Betonflächen, hier und da vereinzelte Grünflächen. Im Wesentlichen aber kennzeichnet er sich durch Nacktheit im Sinne dessen, was Menschen erlebten, denen nicht einmal die Würde einer menschlichen Existenz blieb. Menschen, derer 10.000 von diesem Ort den Weg in die Ghettos in Osteuropa, die Arbeits- und Vernichtungslager, in den oft unvermeidlichen Tod antraten. In die Flächen eingelassen sind Zitate aus Briefen und persönlichen Aufzeichnungen Betroffener, wie Zeugen des Geschehens. Ein Ort, an dem die „Mechanismen wie das physiologische Klima der Deportationen“ (Zitat: Raoul Hilberg) ineinandergriffen.
Angesichts all dessen ein Ort, der betroffen macht. Der Geschichte auf eine unaufdringliche, subtile Weise, hierin mag die Besonderheit dieser Anlage liegen, die sich nicht direkt der Wahrnehmung derer, die hier flanieren aufdrängt, mental erlebbar macht.
Ein Ort, der sich vom öffentlichen Leben nicht abgrenzt. An dem man am Sommernachmittag spazieren geht. An dem Kinder spielen. Paare auf Picknick-Decken oder im nahen Café, das sich in unmittelbarer Nähe des Gleiskörpers befindet, auf dem die Züge für den Abtransport der Menschen bereitstanden, entspannen. Ein Ort, der symbolisch das, was zwischen 1941 und 1945 geschah, verkörpert. Das Alltagsleben und das Unvorstellbare, untrennbar miteinander verbunden.
Man fühlt sich erinnert an die jahrelange Diskussion um das von Peter Eisenmann geschaffene Holocaust Mahnmal in Berlin, das bald nach seiner Eröffnung neben dem Finitum innerer Einkehr, dem des stillen Gedenkens auch als Ort der Entspannung, in dem man sich auf den Beton-Stelen zum Chillen niederließ, genutzt wurde.
Jugendliche trafen sich um Musik zu hören. Um zu tanzen. Das Leben zu feiern, was man seitens des Senats zunächst zu verhindern suchte, schließlich zähneknirschend akzeptierte, bis man sich entschloss, seine Haltung hierüber zu ändern und auch diese Form der Nutzung als eine Auseinandersetzung mit dem, wofür das Mahnmal stand, anzuerkennen.
Diese Orte, sofern sie sich nicht aus dem öffentlichen Raum ausnehmen, integriert sind in das Alltagsgeschehen, in den Puls gesellschaftlichen Lebens, sind Orte der Begegnung, der Kommunikation. Welche Form der Nutzung kann also sinnvoller und nachhaltiger sein, als sie als solche wahrzunehmen, auch in Form dessen, dass Menschen an diesen Orten tanzen. Oder wie es ein Teilnehmer des allwöchentlichen Tanzevents der Frankfurter Salsa-Szene an der EZB beiläufig erwähnte. „Hier kommen Menschen aller Nationen, aller ethnischen Gruppierungen, jeder Hautfarbe und Sprache, ungeachtet jedweden sozialen Status, Religion oder gesellschaftlicher Position zusammen.“ Was kann man der nationalsozialistischen Ideologie, die diese unvorstellbaren Verbrechen generierte, Kategorischeres entgegensetzen?
Über dies glaube ich nicht, dass Trauer und Frohsinn diametral zueinanderstehen. Sich erklärt gegeneinander abgrenzen müssen, sofern sie sich inhaltlich nicht in Spott und Verunglimpfung ergehen. Denken wir beispielsweise an die Trauerrituale der Jazz-Beerdigungen in den Südstaaten der USA, in denen nach anfänglich getragenen Rhythmen diese schließlich in die ausgelassene Stimmung des Jazz, des Swing und kathartischer Tänze übergehen. Selbst in der jüdischen Tradition, um die es hier vordergründig geht, finden in der altüberlieferten Klezmer Musik, wie sie auch auf Trauerfeierlichkeiten zelebriert wird, Elemente wie Traurigkeit und Frohsinn Verbindung.
Ich denke, dass die Diskussion, die über die Nutzung des Platzes an der Europäischen Zentralbank Frankfurt, der „auch Gedenkstätte ist“ sehr eindimensional geführt wird. Pietätlosigkeit und Verunglimpfung, wie sie von Seiten der Jüdischen Gemeinde Frankfurts aber auch weiter Teile der Bevölkerung beklagt wird, sehe ich angesichts der angeführten, wie auch des letzten, folgenden Beispiels, dem Tanz als Ausdrucksform, weitgehend unbegründet.
Wenn es beklagt wird, dass man an genanntem Ort nach lateinamerikanische Rhythmen wie dem Salsa tanzt, sollte man spätestens dann nicht die Frage nach Bedeutung und Herkunft dieses Tanzes bzw. dieser Tradition stellen, der in seiner Geschichte keinesfalls immer ein Ausdruck von Leichtigkeit und Lebensfreunde darstellte?
Der Beging der
Entwicklung dieses Tanzes geht zurück auf das 14. Jahrhundert, auf
die Zeit der Kolonialisierung, der oft gewaltsamen Missionierung
durch europäische Staaten, durch Rechtlosigkeit und Bevormundung, durch Sklaverei
und andere Formen der Unterdrückung. Der Tanz als Aufbegehren einer
ethnischen Minderheit im eigenen Land sowie einer aus verschiedenen
Ethnien bestehenden Zwangs- bzw. Schicksalsgemeinschaft. Ein sich
Bewusstmachen und Erhalten eigener Traditionen und Identifikation
stärkender Merkmale. Eine Form also des Widerstandes gegen
Fremdeinwirkung. Ist dies dem Judentum in seiner Geschichte so fremd
und könnte man hier nicht eine Parallele ziehen zu dem, wofür
dieser Ort Symbol steht?
Der Salsa entwickelte sich aus einer
Mischform verschiedener Traditionen, verschiedener Herkunft der
Menschen, die unter widrigsten Umständen gezwungen waren, der
Unterdrückung etwas entgegenzusetzen, das zum verbindenden und somit
zum Kraft und Zuversicht stiftenden Element wurde. Er steht für das Leben und die Hoffnung darauf, das es gut werden wird.