Montag, 7. Juni 2021

Vom Weg- und Hinschauen.

Ein Kommentar zum geplanten Filmprojekt des Regisseurs Uwe Boll, über den Mordanschlag von Hanau vom 19.Februar 2020


Was gibt es im Bemühen, den Blick von sich selbst und seiner eigenen Bedeutungslosigkeit abzuwenden, Erbaulicheres, als sich am Leid Dritter zu erfreuen? 

Wir neigen heute dazu, es als Merkmal der medial überfrachteten Spaßgesellschaft zu signifizieren. Sicher tragen die Medien in ihrer unüberschaubaren und täglich wachsenden Vielfalt der Form des Voyeurismus, um den es hier geht, Rechnung, doch müsste nicht die Frage im Vordergrund stehen, was woraus resultiert?

Hingeschaut hat man schon immer. Ein Phänomen, das so alt scheint wie die Menschheit selbst. Denken wir an die spektakulären Schauprozesse jüngerer Vergangenheit. An öffentliche Hinrichtungen wie sie, wenn auch im überschaubaren Maß, bis zum heutigen Tag vor Publikum, beispielsweise in den Vereinigen Staaten, stattfinden. Denken wir an Hexenprozesse, Hinrichtungen des Mittelalters bis zur Antike, an öffentliche Todesspiele, wie sie sich in den sogenannten Hochkulturen besonderer Beliebtheit erfreuten, als die Menschen in Scharen auf Plätze und in Arenen strömten, um dem Entsetzen ihre Aufwartung zu machen.

Täglich führen wie es uns freiwillig vor Augen. Das Leid der Welt. Das Elend, den allgegenwärtigen Untergang der menschlichen Zivilisation, dargereicht in Form von Nachrichten in Endlosschleife. Ob nun in den ersten Minuten des Tages beim Frühstücksfernsehen oder am Abendbrottisch. Ist es da nicht nur legitim, wenn die Unterhaltungsindustrie diese Form des Voyeurismus erkannt und für sich als einträgliche Quelle instrumentalisiert hat?

Nein, ist es nicht!

Wenn den Kunstschaffenden die Inspiration versagt, so dass es notwendig wird, sich an Tragödien, die gerade mal ein Jahr zurückliegen, zu bedienen, in dem sie diese in ein 90-minütiges Unterhaltungsformat pressen, ist für mich, wenn vielleicht nicht die Grenze der Freiheit der Kunst, dann doch zumindest die Grenze des guten Geschmacks überschritten.

Ich verurteile nicht, dass negative Ereignisse die Kunst in der gesamten Bandbreite ihrer Darstellungsformen inspirieren. Als Picasso sein Werk Guernica schuf, das die Vernichtung einer spanischen Stadt durch die Nationalsozialisten während des spanischen Bürgerkrieges darstellt, tat er es. Als Schostakowitsch angesichts der zweijährigen Belagerung Leningrads die 7. Symphonie schuf, tat er es. Dass aber vordergründig der kommerzielle Charakter zum Tragen kommt, wie ich es den Machern des Films, die sich das Verbrechen von Hanau zum Motiv ihres Werkes nahmen, vorsichtig unterstellen möchte, finde ich beklagenswert, wenn nicht nach moralischen Gesichtspunkten äußerst bedenklich.

Aber zurück zu eingangs gestellter Frage. Derartige Formen der Kommerzialisierung wären wenig erfolgreich, würden wir nicht nach diesen Bildern gieren. Das Grauen, sei es wiedergegeben in Form des Mediums Unterhaltungsfilm, sei es in Form von Dokumentationen aus Kriegs- und Elendsgebieten, sei es in Bildern, die die umfassend bedrohliche Situation, in der sich die Welt befindet, dokumentieren, haben weniger mahnenden Charakter als Unterhaltungswert und vor diesem Umstand ist es schwer, sich den Glauben an das Gute zu bewahren. Den Glauben daran, dass wir als die einzig vernunftbegabte Spezies auf Erden es noch in der Hand haben.