Vertrat man bisher die Theorie, dass die Ausbreitung des Virus sich vor allem durch undiszipliniertes Verhalten der unverbesserlichen Wegschauer vollzieht, wurde man spätestens in der vergangenen Woche eines Besseren belehrt. Seit einigen Tagen kursiert die „Online-Petition gegen die Vernunft“ durch die virtuelle Welt, in der nicht weniger als 50 namhafte Größen der Unterhaltungsbranche die Hand zum Sturm gegen die Vernunft erheben, statt ihren Einfluss im Sinne dessen gelten zu machen, was uns alle bewegt, was wir alle uns wünschen, wes wir alle darben.
Garniert durch die Terminologie der Satire; letztlich lassen sich auch die größten Katastrophen auf dem Podest der Verblödung wiederkäuen, ausspeien und schließlich denen zum Fraß vorwerfen, deren geistiger Horizont sich an einem 60 Zoll Plasma-Bildschirm bricht, werden nachweislich wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse verlacht und ersetzt durch noch so haarsträubende Theorien, wird zum Boykott von Schutzmaßnahmen aufgerufen, werden Opfer, ob nun zu Tode gekommene oder schwer leidende Patienten, Pflegekräfte und weiteres medizinisches Personal, die täglich in unermüdlicher Weise ihr Äußerstes geben, verunglimpft und verhöhnt, weil es ja alles nicht so schlimm sei.
Dass dies nun aus Kreisen derer, denen man nicht vordergründig unreflektiertes, undifferenziertes Denken nachsagen möchte, kommt, enttäuscht in besonderer Weise. Ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich selbst ein umsichtiges, zivilisiertes Verhalten verordnen, weil zum gegenwärtigen Stand der Entwicklung nur hierin ein hinreichender Schutz der eigenen Person wie der Allgemeinheit zum Tragen kommen kann.
Wir, die wir gegenüber Staaten, in denen Diktatur und Autokratie herrscht, in Freiheit leben, verwalten ein hohes Gut. Das Gut der Freiheit des Denkens, des Wortes, des Handelns. Niemand klaren Verstandes wird sich guten Gewissens wünschen, diese Privilegien durch restriktive staatliche Kontrolle und Bevormundung zu ersetzen. Wenn diese Freiheit jedoch eine Gefährdungslage generiert, die zu entarten droht, halte ich konsequente und kategorisch legislative Maßnahmen, wie die jüngst abschließend im Bundesrat beschlossenen Verordnungen, mittels welcher man den Ländern und Kommunen in der Bekämpfung der Pandemie die Entscheidungshoheit entzieht und auf den Bund verlegt, für unabdingbar.
Die Absurdität eingangs erwähnter Petition besteht, sozusagen in unbeabsichtigtem Nebeneffekt, auch darin, dass man mit ihr Kräften in die Hände spielt, die den (Un)Geist der Zeit längst erkannt und für sich instrumentalisiert haben. Rechtsnationalen Strömungen, die den Begriff Demokratie, den sie unablässig gemahnen, denaturieren, um am Ende, erst einmal zu Einfluss gelangt, genau die hier beschworene Freiheit bestenfalls im Sinne ihrer eigenen hirnlosen Ideologien zulassen. „Herr meine Not ist groß. Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los...“ (Zauberlehrling/Goethe)