Montag, 27. August 2018

Pro-Buch(Laden)oder. Dinge, die meine Welt nicht braucht?


Ich befinde mich nicht unbedingt für einen Menschen, der sich jedweder Form des Fortschrittes ablehnend oder skeptisch gegenüberstellt. Gut, es mag unzeitgemäß erscheinen, wenn ich meinen Kaffee lieber nach klassischer Art aufbrühe, statt ihn in einem chromglänzenden High-Tech-Automaten zuzubereiten, der nach erbärmlich asthmatisch anmutenden Geräuschen lediglich einzelne Tassen zu Tage fördert. Auch besitze ich keine 3 Handys mit jeweils unterschiedlichen Netzverträgen, um stets die preiswerteste Verbindungsrate nutzen zu können.
Unter uns gesagt, ich habe nicht einen einzigen Handyvertrag, nutze seit Beginn dieser segensreichen Erfindung lediglich die Prepaid Variante.


Auch mein Navi nutze ich wirklich nur, wenn ich überhaupt nicht weiter weiß. An der Tankstellenkasse leiste ich mir den Luxus, noch selbst auszuwählen, was ich zusätzlich benötige. „Sie haben sicher noch nicht unser absolut einmaliges Sonderangebot gesehen: 2 Schokoriegel zum Preis von einem und sicher doch noch einen Kaffee dazu?“ Ein „Nein danke!“ lässt diese Art der Fragestellung gar nicht zu!

Zugegeben. Mein Konsumverhalten ist wirklich erbärmlich, bemessen an der Werbeindustrie, die mir tagtäglich vor Augen führt, was ich brauche, um ein besserer, bestimmt aber ein glücklicher Mensch zu sein.
Die Buchhandlung meines mittlerweile (Misstrauens) Vertrauens versucht mir seit geraumer Zeit die Vorzüge eines e-Readers zu vermitteln.

Kennen sie schon den neuen - KINDL TOUCH – ?“ fragt mich das blonde Gift, das mehr oder weniger elegant, auf halsbrecherischen High Heels auf mich zugetänzelt kommt und mit glockenheller Stimme die Vorzüge dieser technischen Revolution erklärt. So leicht und kompakt, dass sie ihn überall mit hinnehmen können. (Das kann ich auch mir einem Buch)Ja - aber man kann die Unzahl von rund 3000 Büchern auf ihm speichern. (Ok. Das sehe ich als Vorteil. 3000 Bücher mit sich herumschleppen zu müssen, ist nicht ohne. Das stelle man sich mal bildlich vor) Ein weiterer Vorteil, man kann auf ihm wie auf echtem Papier, also wie in einem richtigen Buch lesen (Wow! Und warum dann nicht gleich ein Buch?) Ok. Die Dame auf dem Werbebanner, braungebrannt und makellos, sich in lasziver Pose am Pool räkelnd, überzeugt mich allerdings. Gibt es die dazu? 

Aber mal ernsthaft. Der Gedanke, dass ich meine mittlerweile recht umfassende Privatbibliothek auf das räumliche Format einer Postkarte reduzieren soll, erfüllt mich nicht wirklich mit Freude. Für mich fällt diese Absurdität der Technik ganz klar unter die Rubrik „Dinge die die Welt nicht braucht!“


Nein – ich bevorzuge den klassischen Buchladen, deren Präsenz vielleicht ein wenig zurückgegangen ist, die es aber, trotz ungünstiger Prognosen, nach wir vor gibt und die sich, ich bete darum, selbst neben dem mittlerweile marktbeherrschenden Großunternehmen wir Hugendubel, Thalia u.a. Buchsupermärkten, deren durchgestyltes, föhnfriesiert, wasserstoffblondes Personal auf mein Anliegen, ob sie ein Exemplar von Zettels Traum vorrätig hätten, in die Abteilung für Schreibwaren verweist, durchsetzen werden.
Wenn das Sortiment auch übersichtlicher erscheint: Der Service und die individuellere Beratung, die persönlichen Dinge, die ich hier erlebe, ich fühle mich gemeint, man setzt sich mit meinem Anliegen auseinander, man kennt mich…

An dieser Stelle möchte ich auf einen Band, der mir kürzlich in die Hände fiel, aufmerksam machen. Sein Titel. „Breitseite Berlin“ (übrigens nur als Printausgabe erhältlich)
Hier steht es geschrieben, was kaum besser auszudrücken ist:




Textauszug: Breitseite Berlin

Von Norden laufen drei, von Süden zwei Straßen auf den von der verkehrsreichen Kantstraße durchschnittenen Savignyplatz zu. Die zum Steinplatz weiterführende Carmerstraße ist eine Art Paradestraße der westdeutschen Literatur. Im Haus Nr. 10 hat die Autorenbuchhandlung ihr Domizil. Literarische Buchhandlungen sind die Oasen des Einzelhandels; in ihnen kann man erfrischen von den Strapazen der alltäglichen Wüstenwanderung. Hier sagt das Buch nicht „ kauf mich!“ Es sagt „ lies mich!“ Der Warenpreis tritt in den Hintergrund und schafft Raum für den eigentlichen Wert. Wie in guten Restaurants ist beiden Seiten der Akt des Kassierens und Zahlens eher unangenehm. Wie oft habe ich erlebt, dass das Gespräch zwischen Buchhändler und Kunde keinerlei Unterbrechung erfuhr, obwohl doch gerade ein Geschäft abgewickelt, ein Schein auf den Bücherstapel gelegt und Wechselgeld in Empfang genommen wurde. Das Buch aber wurde überreicht wie ein kostbares Geschenk. Das ist der Unterschied zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Bereits die Auswahl des Sortiments verrät dem Leser, in welches Haus er seinen Schritt lenkt. Wo er nur auf Massenware stößt, wird er als Herdentier des Kulturkonsums angesehen und entsprechend abgespeist. Wo man sich dagegen den Luxus leistet, eine große Auswahl von Gedichtbänden vorrätig zu halten und kleinen aber feinen Editionen Raum zu geben, traut man sich Kennerschaft zu und appelliert an den literarischen Feinschmecker. Dieses Kompliment gibt man durch häufige Besuche zurück. Die Autorenbuchhandlung ist so ein Ort, wo man sich gegenseitig die Ehre erweist. Wie die Zeiten aber alles andere als romantisch sind, gilt der Respekt von uns Lesern einer Buchhändlerin, der es über Jahrzehnte gelungen ist, mit ihren schwierigen Waren zu handeln.


Kann dieses Erleben jemals der Online-Buchhandel oder das Downloaden von Texten vermitteln?

Einen Buchladen zu betreten, zwischen den Regalen herumzustöbern, das ein oder andere Buch fast liebevoll zur Hand nehmen. Es fühlen. Der fast intime Moment, wenn man es aufschlägt, den Duft frischen Papiers und Druckerschwärze inhaliert – Warnhinweis – Das Konsumieren eines Printwerkes kann zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führen – In ihm blättern und vielleicht ein paar Passagen lesen. Es zurückstellen ins Regal oder zur Kasse gehen, es schließlich nach Hause tragen und in musevollen Stunden in ihm versinken.
Dies und vieles mehr, das mir das Medium „Buch“ vermittelt, werde ich mir nie nehmen lassen. Daher kann mir nie eine andere Darbietungsform diese für mich wichtigste Erfindung der Menschheit, den Buchdruck, ersetzen.

Ich möchte noch mal ergänzen:
Ich stelle mich gewiss nicht gegen technische Entwicklungen. Friste kein zurückgezogenenes Einsiedlerdasein in der Welt technischer Neuheiten. Was ich hingegen anklage, ist der Verlust des differenzierten Denkens. Der Entmündigung, der wir uns unterwerfen, ohne es zu merken. Was wir brauchen, entscheiden nicht mehr wir. Was uns ein schöneres, interessanteres und facettenreicheres Leben bereiten soll, ist nichts als Kommerz und das gezielte in Ketten des Konsumterrors schlagen. Das wichtigste Gut des Menschen jedoch ist der Verstand. Die größte Freiheit ist die des freien Denkens. Und die ist in Gefahr.