Dienstag, 29. Dezember 2020

"Bescheidenheit ist der Anfang aller Vernunft:"

Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle über das zurückliegende Weihnachtfest reflektiert. Meine Beobachtungen, meine Gedanken artikuliert. Zu beschreiben versucht, was ich empfand angesichts dessen, was die meisten Menschen unter Weihnachten verstanden. Angesichts überfüllter Shopping-Malls. Angesichts bis an die Zähne bewaffneter Polizisten, die in martialischer Körperspannung über die Weihnachtsmärkte patrouillierten. Angesichts von Müll und Sperrmüllbergen, die sich noch Tage vor dem Fest vor den Häusern türmten, da man ja Platz schaffen musste für neuen Unrat, den der Mensch bei genauerer Betrachtung nicht braucht.

Weihachten 2019 war noch nicht zu erahnen, was uns nur wenige Wochen später ins Haus stünde. Einschränkungen und Verzicht. Kategorisches, wenn auch erzwungenes, Umdenken und über all dem der erhobene Zeigefinger, nicht nur von Seite derer, die all das, was kommen sollte, als Farce bezeichneten, sondern auch und besonders von namentlich bekannten Intellektuellen, man möge sich die Maßnahmen zum Schutze der Allgemeinheit nicht diktieren lassen. Sich auf seine demokratischen Freiheitsrechte berufen. Sich nicht im Kadavergehorsam den Verfügungen unterwerfen.

Das Jahr nahm seinen Lauf.  Die Infektionszahlen stiegen, sanken um die Jahresmitte und stiegen erneut in astronomische Höhen.

Und erneut stand das Weihnachtsfest ins Haus. Ein Weihnachtfest ohne Weihnachtsmärkte. Ohne aufgepeitschten Massenkonsum, denn das Weihnachtsgeschäft fand eine Woche vor dem Fest ein jähes Ende durch umfassende Schließungen des Handels. Ein Weihnachtsfest der Einschränkungen, der Bescheidenheit, könnte man sagen.  Vereinzelte Stimmen sprachen vom entbehrungsreichsten Fest seit Kriegsende. Kritiker beklagten den Umstand, die Oma zum Fest nicht zu sich holen zu können. Die Oma, die man auch zu normalen Zeiten bestenfalls alle zwei Monate besuchte.

Es stand außer Frage: Das Fest war in vielerlei Hinsicht durch Restriktion und Verzicht gekennzeichnet. Aber kommt es nicht auf den Maßstab an, an dem wir es bemessen?  Selbst unter den gegenwärtig noch und weiterhin bestehenden Beschränkungen, bedienten wir uns aus einem nahezu unüberschaubaren Warenangebot, nicht nur im Bereich der Dinge des täglichen Bedarfs. Wenn es denn ein überfüllter Gabentisch sein musste, stand das Internet bereit. Auch ein Großteil des Einzelhandels bot sein Warensortiment über die virtuellen Medien incl. Lieferung vor die Haustür an. Konversation untereinander, wenn auch nicht in Form physischer Nähe, findet am Telefon statt.  Wir sind satt geworden. Wie haben uns reich beschenkt. Wie sind gesund, wenn wir es denn sind. Sind wir es nicht, steht uns selbst in dieser Zeit eines der besten medizinischen Versorgungssysteme der Welt zur Verfügung. Wir aber jammern, weil wir nicht in den Winterurlaub fahren bzw. fliegen können. Weil wir uns nicht zu Tausenden in der Öffentlichkeit treffen können, um das Weihachtfest bzw. Silvester im gewohnt großem Rahmen zu zelebrieren. Weil wir nicht tun und lassen können, wonach uns der Sinn steht, drauf gepfiffen, ob es dem Nächsten, ob es der Gesellschaft, ob es dem Erhalt von Werten im Sinne von Schutz und Nachhaltigkeit gerecht wird. Wie haben es uns schließlich verdient. Wir lassen es uns nicht nehmen, hört man hie und da.

Aber ist es tatsächlich so?  Stellen wir uns die Frage. Habe wir es uns verdient? Oder haben wir vielmehr das verdient, was wir gegenwärtig und noch eine ganze Weile ins kommende Jahr hinein erleben werden?

Bei all dem hier beschriebenen kommt man an der Erkenntnis kaum vorüber, dass eines der Haupt-Attribute menschlichen Seins die Schwäche ist, was sich auch in abschließendem Beispiel manifestiert:

Wir argumentieren so gern mit dem Begriff ‚Moral‘. Sind schnell dabei, wenn es darum geht den Stab der Entrüstung über Dritten zu brechen.  In einem Artikel, zu lesen auf der Internetseite des Deutschlandfunks, ging es um den Verstoß gegen moralische Grundsätze, in Gestalt dessen, dass sich ein führender Vertreter der Kirche schuldig machte. „Der Tiefpunkt der Moral sei erreicht:“ betitelte der Sender den Artikel. Dieser Tiefpunkt. soweit meine Meinung hierzu, ist längst in ganz anderer Hinsicht erreicht. Aber zugegeben, es tut recht gut, das Maß wie den Anspruch an Moral, dem wir selbst nicht genügen, auf andere zu übertragen.