Weil
so was von so was kommt...
An
wenigstens einem Tag im Jahr brauchen sich die Medien keine Gedanken
über Themenmangel in der Berichterstattung zu machen. An dem Tag, an
dem uns in mittlerweile 15-jähriger Endlosschleife die Bilder des
Anschlags auf die Zwillingstürme von Manhattan vor Augen geführt
werden. Bilder, die Fragen aufwerfen, auf die niemand eine Antwort
hat. Fragen, die nicht einmal gestellt werden. Mit diesem Tag, mit
diesem unvorstellbaren Verbrechen, erlangte der Terror, die
unkalkulierbare Gefahr aus einer Richtung, aus der man sie in dieser
Größenordnung bisher nicht kannte, eine neue Dimension. Schmerz,
Lähmung und maßloses Entsetzen waren die unmittelbare Folge. In
mittelbarer Folge setzten Kräfte wie unkontrollierte Wut, Hass,
Vergeltungs- und Vernichtungswillen ein. Noch am Tag des Verbrechens
selbst positionierte sich ein Mann, selbsternannter Lenker der Welt,
klein von Wuchs, klein von Geist, groß von Mundwerk, indem er
unbarmherzige Härte gegen alles signalisierte, was den verwundeten
amerikanischen Geist und die Werte der westlichen Welt in ihren
Grundfesten erschütterte.
Die
Solidaritätsbekundung europäischer Bündnisstaaten ließ keine 24
Stunden auf sich warten. England sprach vom Blutzoll, den man dem
Partner schuldig sei. Eine Frau namens Angela Merkel, der man
seinerzeit den Beinamen Bush-Zäpfchen- beimaß, zögerte
nicht, sich ins Flugzeug zu setzen, um dem eingangs erwähnten Herrn
im Falle eines Wahlsieges der Union uneingeschränkte Unterstützung,
nicht nur logistischer Art, zuzusagen. Die UN saugte sich, bereits am
Tag nach den Anschlägen, eine eiligst verfasste, höchst umstrittene
Resolution aus den Fingern. Und G.W. Bush spitze seinen Griffel, um
die Welt einmal mehr in gut und schlecht, streng geteilt durch die
-Achse des Bösen-, zu trennen. Die Achse, die die sogenannten
Schurkenstaaten per Definition teilte, also Nationen, die sich
internationalen Friedensbemühungen – woran auch immer man diese
sieht, entgegenstellten. Staaten, die nach Massenvernichtungsswaffen
streben. Staaten, die Politik wider den Exportschlager der westlichen
Welt, den demokratischen Geist oder zumindest dem, was die USA
darunter verstehen, betreiben und sich diesem partout nicht
unterordnen wollen. Selbstredend, dass sich die Vereinigten Staaten
als Gottes eigenes Land in ihrer Position des Hüters und
Werteschmiedes der Welt auf der guten Seite sahen. Ein Land, das es
selbst nicht so genau nimmt mit den Menschenrechten.
Am
4. Oktober 2001 setzte sich dann fort, was... nein, nicht was am
11.September desselben Jahres begann. Ein Konflikt, der seit 1978,
zunächst durch Besetzung des Landes durch Sowjetische
Truppenkontingente begann, und was bis zum heutigen Tag kein Ende
gefunden hat: Der Kampf gegen das Diktat der Taliban, das ein Land
mit eiserner Hand nach islamistischen Werteprinzipien tyrannisierte,
das jede Form von Entwicklung, ob nun wissenschaftlicher,
wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Art, verhinderte.
Dennoch
oder gerade deshalb stellt sich mir die Frage, geben die
geschilderten Umstände Dritten das Recht, ein Land mit einem Feldzug
zu überrollen, an dessen Ende eine ganze Kultur in Schutt, Asche,
Blut und Tränen versinkt? Tod und Vernichtung. Oder sind es am Ende
ganz andere Motive, zu denen die genannten nur einen willkommenen
Anlass bilden? Solang der Krieg auch und sicher nicht in geringem
Maße als Wirtschaftsfaktor und Wertschöpfungskette zu betrachten
ist, ist dies zumindest denkbar.
Im
Jahr 1993 erschien ein Buch mit dem Titel „Kampf
der Kulturen“ des
amerikanischen Philosophen und Politik-Wissenschaftlers Samuel
Huntington.
In der Erläuterung zum Inhalt dieses Werks heißt es:
„Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sei die Weltpolitik multipolar und multikulturell geworden, nicht mehr Ideologien sondern Kulturen bestimmten die Weltordnung. Der Westen müsse, um neue weltweite Konflikte zu vermeiden, auch andere kulturelle Wertvorstellungen berücksichtigen. Es sei ein Irrtum, Modernisierung mit westlicher Kultur oder Verwestlichung gleichzusetzen. Die Werte des Westens würden in anderen Kulturkreisen nicht als universelle Werte anerkannt.“
In der Erläuterung zum Inhalt dieses Werks heißt es:
„Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sei die Weltpolitik multipolar und multikulturell geworden, nicht mehr Ideologien sondern Kulturen bestimmten die Weltordnung. Der Westen müsse, um neue weltweite Konflikte zu vermeiden, auch andere kulturelle Wertvorstellungen berücksichtigen. Es sei ein Irrtum, Modernisierung mit westlicher Kultur oder Verwestlichung gleichzusetzen. Die Werte des Westens würden in anderen Kulturkreisen nicht als universelle Werte anerkannt.“
Allein
in diesem Satz liegt für mich eine mögliche Erklärung für das,
was am 11.September 2011 und in Folge fast täglich erneut geschieht.
Vor 200 Jahren hat man mit Lanze, Feuer und Schwert der Welt das
Christentum aufgezwungen.
Was unterscheidet die heutigen Kriege, geführt nach Idealen und Ideologien, die den Gott des Kapitals im Wappen führen, von denen, die den Koran im Sturmgepäck tragen? Niemand ist unschuldig. Niemand hat das Recht, das Schwert gegen Dritte zu führen. Nicht nach Maßgabe wie es heute geschieht, wie es damals geschah und wie es vermutlich in aller Zukunft geschehen wird.
Was unterscheidet die heutigen Kriege, geführt nach Idealen und Ideologien, die den Gott des Kapitals im Wappen führen, von denen, die den Koran im Sturmgepäck tragen? Niemand ist unschuldig. Niemand hat das Recht, das Schwert gegen Dritte zu führen. Nicht nach Maßgabe wie es heute geschieht, wie es damals geschah und wie es vermutlich in aller Zukunft geschehen wird.
Der
Feldzug, den der texanische Kuhhirt aus Washington führte, setzt den
3000 Opfern des Anschlags von New York eine Zahl entgegen, die diese
um das hundertfache übertraf.
Eine
Studie, die der Spiegel vor einiger Zeit veröffentlichte, spricht
von weit über 80.000 zivilen Opfern allein in Afghanistan. Nimmt man
die angrenzenden Nationen, die in diesen Krieg involviert sind,
zusammen, sprechen die Zahlen von 250.000 zivilen Opfern.
4000
US Soldaten verloren ihr Leben. 57 Bundeswehrsoldaten starben, z.T.
bei Anschlägen, z.T. im Gefecht.
Und
der internationale Terrorismus, dem man so martialisch den Kampf
ansagte, hat eine Präsenz erlangt, die weite Teile unseres Lebens
nicht nur durch die täglichen Meldungen in den Medien, also aus 2.
Reihe, sondern auch durch sehr real geworden Angst in 1. Reihe
bestimmt.
Wir
gedenken jedes Jahr am 11. September der Toten von New York. Wer
gedenkt derer, die in diesem -sauberen Krieg- durch alliiertes Hand
das Leben verloren? Sie waren so unschuldig wie die, die an jenem Tag
ihren Arbeitsplatz aufsuchten um abends nicht mehr heimzukehren.
Nur
ein Beispiel möchte ich nennen, das für mich bezeichnend ist für
die Verbrechen, die in Folge auf 09/11 geschahen. Verbrechen durch
staatlich legitimierten Terror durch offizielle Streitkräfte.
Am
4.September 2009 befehligte ein hoher Militär, Oberst G. Klein,
damals in Position des verantwortlichen Offiziers des Feldlagers
Kundus, einen Einsatz, der 140 Menschen, größtenteils Frauen und
Kindern, das Leben kostete. Zwei Tanklastzüge, ursprünglich von
Kräften der Taliban entführt, möglicherweise zum Zwecke, mit
diesen Anschläge zu verüben, steckten, 4 km vom Lager entfernt,
nicht mehr fahrfähig im Wüstensand fest. Eine Bedrohungslage. Eine
jedoch, die der offensichtlich völlig überforderte Befehlshabende
nicht einzuschätzen im Stande war. Stunden später existierten weder
die LKWs noch die Gruppen von friedlichen Zivilisten, die sich in
unmittelbarer Nähe der Lastzüge aufhielten, um sich an deren Fracht
zu bedienen. Eine Gefährdung der Sicherheit des Lagers war, nach
offiziellen Statements unabhängiger Gutachter, zum Zeitpunkt des
Bombardements, des Mordes oder der billigenden Inkaufnahme der
Vernichtung 100fachen unschuldigen Lebens, längst nicht mehr
gegeben. Der fachlich gängige Begriff hierfür nennt sich
Kollateral- oder Begleitschaden.
Eine
in Folge dieses Verbrechens, ja ich nenne es so, einberufene
Untersuchungskommission entschied später in Berlin, dass dem
Offizier kein Fehlverhalten nachzuweisen war. Eine Klage von
betroffenen Angehörigen, die jüngst vor einem deutschen Gericht auf
Entschädigung hofften, wurde abgewiesen. Wer gedenkt ihrer? Oberst
Klein wurde mittlerweile zum Brigadegeneral befördert. Mit der Zeit
wird man schon vergessen, was damals geschah.
All
dies im Kampf gegen eine Form von Bedrohung, die erst durch Hysterie
und organisierte, staatliche Gewalt zu dieser Dimension weltweiter
Bedrohung gelangte? Gewalt erzeugt Gegengewalt. Das lernt jedes Kind
in der Schule. Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Anderslebenden,
Andersaussehenden lehren wir unseren Kindern.
In
Frankreich und Belgien fallen ausgelassen feiernde Menschen
Anschlägen zum Opfer, während man in Paris am Nationalfeiertag auf
der Champs Elysees waffenstarrende Paraden abhält. Politiker, wie
jüngst Marie Le Pen, stellen sich, Kampfformeln wie „zu den Waffen
Brüder“ skandierend, vor das Volk und machen verbal mobil gehen
alles, was ihrer politischen, gesellschaftlichen Ordnung
widerspricht.
Ist
das unsere Vorstellung von einer befriedeten Weltgemeinschaft?
Provokation? Unverantwortlicher Umgang mit Werten wie Presse- und
Informationsfreiheit, wenn man bewusst provoziert mit
Mohammed-Karikaturen und Verunglimpfung des Islams? Alle Welt war
Charlie, gleich einer Herde blökender Schafe. Es geht nicht darum,
sich Einschränkungen zu unterwerfen. Es geht um Sensibilität! Dann
nämlich, wenn man durch sein Tun Gefühle bewusst verletzt. Wenn man
durch dieses Tun nicht nur sich selbst gefährdet, sondern Gefahr
läuft, einen Flächenbrand unvorstellbaren Ausmaßes auszulösen.
Von den Werten unserer Gesellschaft ist die Rede, die es zu erhalten
gilt. Worin liegen denn diese Werte? In der Befriedigung unbegrenzter
Konsumsucht? Jeder kann alles in unbegrenztem Maß und zu jeder Zeit
haben? In Unmoral und Dekadenz? Wenn wir nicht sehen wollen, schauen
wir einfach weg. Was interessiert uns der Nächste? In dem Gedicht
„An die Nachgeborenen“ von Brecht heißt es: „Was sind das für
Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast zu einem Verbrechen wird,
weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt...?“
Wie
es jenseits unseres Horizontes aussieht, sehen wir beim Abendessen in
der Tagesschau mit aufgesetzter Betroffenheitmine. Im Spielfilm
danach ist es bereits wieder vergessen. Die Stimmung möchte man sich
ja doch nicht verhageln lassen. Wir haben es uns ja schließlich
verdient.
Solange
dies die Werte sind, die auch am Hindukusch zu verteidigen sind, wie
es ein Herr Struck einst so vollmundig protokollierte, solange die
Parlamentarier der Welt vordergründig im Interesse korrupter
Kapitalisten statt im Sinne derer handeln, die am Ende die Zeche
zahlen, erteile ich diesem Wertesystem eine deutliche Absage.
Unsere
Gesellschaft verfällt zunehmend einem Nationalismus, der an Zeiten
erinnert, die als überwunden galten. Spaltet sich über das Tragen
von Kleidungsstücken wie Kopftuch, Burka oder Burkini. Vermutet
hinter jedem am Boden stehenden Rucksack einen Sprengsatz sowie
hinter jedem Schleier einen Selbstmordattentäter. Ausgewiesene
Feministen, ob nun männlichen oder weiblichen Geschlechts, möchten
jeder Frau, die ein Kopftuch trägt, dieses am liebsten vom Haupt
reißen, stellt es ihrer Meinung nach schließlich ein Symbol
weiblicher Unterdrückung dar. Flüchtlingsströmen aus den genannten
Nationen wird pauschal mit Argwohn und Generalverdacht begegnet.
Kürzlich las ich in einem Leserbrief dieser Zeitung die Worte eines
geistig offenbar sehr beschränkten Herrn, der die zahlreichen
Einsätze von Polizei und Feuerwehr in Flüchtlingsunterkünften
bemängelte. Diese Institutionen seien
schließlich vordergründig für die deutsche Bevölkerung zuständig,
so seine Worte. Wer schützt uns eigentlich vor derartigem Ungeist
bzw. geistiger Brandstiftung dieser Art?
Nochmal,
nichts ist verächtlicher als Gewalt, welches Motiv dem auch immer
zugrunde liegt. Vor 3 Jahren erregte eine junge Frau mit einer Rede
vor den Vereinten Nationen großes Aufsehen. Malala Yousafzai. Monate
zuvor wurde Sie durch einen Mordanschlag der Taliban lebensgefährlich
verletzt. Kein Hass, keine Rachebeschwörungen und kein Kriegsgeheul
beinhalteten ihre Worte. Stattdessen ein Appell an Nächstenliebe,
Vergebung und Verständigung zwischen den Nationen, zwischen den
Religionen, zwischen den Wertegemeinschaften der Welt.
Es
wird immer Kräfte geben, die ihren Ideologien mit der Waffe in der
Hand Nachdruck verleihen werden. Aber es ist eine Minderheit, der der
gesunde Menschenverstand etwas entgegenzusetzen hat. Und dazu bedarf
es bestenfalls der Waffe des Wortes und der Bildung.