In die Kasernen der Vergangenheit
Glaubt nicht, dass wir uns wundern, wenn ihr schreit
Denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien…“
Sie
tragen wieder Fackel und Fahnen vor sich her. Sie folgen wieder allzu
willig Aufrührern, Brunnenvergiftern und Despoten mit ihren
geistzerfressenden Thesen, wenn diese mit geballter Faust in
düster-feierlichem Pomp die Verheißung vorhersagen. Rädelsführern,
die wissen, wie man mit rhetorischem Geschick die Massen gewinnt für
ihre auswüchsigen Ideologien. Wenn sie wortgewaltig und provokativ
Begriffe wie „unser 1000jähriges Deutschland, unsere deutsche
Kultur, Rassen- und Religionsreinheit“ skandieren. Sie, die in der
Beschränktheit der zumeist bildungsfernen Schichten so fruchtbaren
Boden finden, weil diese sich so gern vergiften lassen. Weil sie sich
plötzlich verstanden und vertreten fühlen von Geistern, die in
ihrer Vision eines Gesellschaftsbildes das Rad der Geschichte so gern
zurückdrehen würden. Weil sie in der Kleingeistigkeit ihrer
bürgerlichen Existenzen plötzlich wahrgenommen werden. „Deutschland
den Deutschen“ tönt es aus Dresden und Erfurt. Tönt es aus den
Mündern derer, die noch vor 25 Jahren für Freiheit, Gleichheit und
Menschenrechte auf die Straße gingen. Längst baut man wieder
Mauern, durchzieht Europa erneut mit Stacheldraht. Lässt Schiffe an
den Außengrenzen Europas kreuzen. Lässt Militär an den Grenzen
Stellung beziehen. Bayern spricht von Maßnahmen der Notwehr. Es
gelte sich zu schützen vor den Schutzsuchenden, so die Worte
Seehofers.
Jüngst
jährte sich zum 20. Mal die Verurteilung der Attentäter des
Brandanschlages von Solingen, bei dem Anfang der 90er Jahre fünf
Menschen ums Leben kamen. Es folgten Anschläge auf Einrichtungen in
Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Eberswalde … Zu keinem
Zeitpunkt nach Ende der NS-Tyrannei in Europa gab es vergleichbare
Gewalt gegenüber Mitbürgern ausländischer Herkunft. Fortan sollte
diese Entwicklung eine stete Steigerung erfahren. Im Jahr 2014
registrierten die Strafverfolgungsbehörden rund eintausend
rechtsmotivierte Straftaten. Im ersten Halbjahr 2015 waren es bereits
zweitausend zu verzeichnende Übergriffe und Verbrechen.
Geht
es noch um Demokratie und freie Meinungsäußerung, wenn PEGIDA-,
AFD-, DVU-, NPD-Anhänger mit Galgen und Guillotine, wie jüngst in
Dresden und auf dem Pariser Platz in Berlin,
ihre
Missbilligung der Regierung konstatieren? Das ist nicht mal mehr als
geschmacklos zu benennen. Das ist offener Aufruf zu Hass und
zügelloser Gewalt gegen bestehende rechtsstaatliche Strukturen und
Institutionen, die mit aller gebotenen Härte des Gesetzes zu ahnden
sind. Wir hören Redner in Dresden, die unverhohlen ihr Bedauern
äußern, dass nationalsozialistische Massenvernichtsungslager nicht
mehr in Betrieb sind. Worte eines Mannes, man lese und staune,
türkischer Herkunft, Autor zahlreicher Bestseller, gegen den
aufgrund einer einzigen anonymen Strafanzeige nun ermittelt wird. Von
Lutz Bachmann, dem politisierenden Kleinkriminellen und Anführer der
PEGIDA-Bewegung, war zwar zunächst eine Distanzierung zu diesem
Redner zu vernehmen. Wenig später jedoch fiel dieser erneut auf, als
er in seinem Facebook-Profil das Foto eines beliebten „braunen“
Brotaufstrichs mit eingefügten NS-Symbolen veröffentlichte.
Ich
bitte um Entschuldigung, aber was muss hier denn noch ermittelt
werden? Ebenso kündigte man entsprechende Überprüfungen der
genannten Gruppierungen und Parteien an, ob hier der Tatbestand der
Volksverhetzung gem. § 130 StGB erfüllt ist. Ja geht es noch? Was
muss denn geschehen, damit man begreift, welche Gefahr von diesen
Elementen ausgeht? Der Bundesvorsitzende der NPD, Udo Pastörs,
betreibt ungehindert antisemitische Hetze in Reinkultur, wenn er von
Deutschland als Juden-Republik spricht und so mit Wesenszügen
Goebbelsscher Rhetorik seine Hasstiraden unters Volk mischt. Mit
Worten, wie „Kämpfen wir mit Herz, Verstand und wenn es sein muss,
mit der Hand!“, ruft er offen und ungehindert zur Gewalt auf. Meine
Frage an die ermittelnden Behörden, was hätten sie denn gern, das
man ihnen auf dem silbernen Tablett serviere?
Ich
kann meine Verachtung vor Menschen, wie den genannten, gar nicht
ausreichend in Worte fassen. Selbst in unserer Stadt begegnet man
ähnlichen Entwicklungen, wenn ich selbst Tag für Tag ertragen muss,
wie ein ewig gestriger Kleingeist seinem erbärmlichen Nationalstolz
auf keine andere Weise Ausdruck verleihen kann, als durch die
reichsdeutsche Flagge: Schwarz-Weiß-Rot, die, feierlich umrahmt von
Zierspringbrunnen und Gartenzwergidyll dessen Vorgarten ziert. Wie
von dem Facebook- Profil eines Hanauer Unternehmers ein Kinderfoto
Adolf Hitlers prangt. Wie eine Leserbriefschreiberin vor einigen
Wochen zu bedenken gab, dass Deutschland ja doch den Deutschen
vorbehalten sei bzw. vor möglichen Gefahren durch radikale
Islamisten und Schläfer warnte, die mit dem Flüchtlingsstömen
ins
Land geraten könnten. Die Flüchtlinge täten ihr ja schon leid,
aber…
Um
es mit Max Liebermanns Worten zu sagen: „Ich kann gar nicht so viel
fressen, wie ich kotzen möchte“
Begriffe
wie Asylmissbrauch, illegale Einwanderung, gewaltsame Übergriffe auf
die so friedliebende Bevölkerung, Angst von Frauen, die sich bei
Dunkelheit nicht mehr auf die Straße wagen, Drogeneinfuhr,
Überfremdung etc., kursieren in der Öffentlichkeit. Gefahr sehe ich
vielmehr in den eingangs genannten Zahlen der rechtsmotivierten
Straftaten, die, setzt man sie ins Verhältnis zu islamistischen
Übergriffen, lediglich einen Promille-Wert ergeben. Aber dies ist
für Menschen, dessen Informatiosanspruch sich in den geistigen
Niederungen eines groß bebilderten Medienorgans befriedigt, kaum zu
erfassen.
„Wir
haben es uns schließlich verdient. Ein reiches, ein schönes Land.
Wer will da kommen und Anspruch auf unsere Werte erheben? Das wäre
ja noch schöner!“ Worauf sich unser Reichtum jedoch gründet:
Unsere Gier nach immer mehr Wohlstand, den wir durch immer höhere
Mauern und Zäune zu sichern versuchen, ist nicht von Bedeutung. Das
wiederum würde ja den Blick über die Grenzen hinaus erfordern. Oder
auch nur den Blick in den Spiegel. Zugegeben, es kann zu unangenehmen
Erkenntnissen führen. Da schaut man doch lieber weg, vergräbt
seinen Blick in Hochglanzbroschüren und Versandmagazinen. Sein
schlechtes Gewissen befriedigt man mit einem herzzerreißenden Ach …
und Oh …, wenn abends in der Tagesschau die Bilder der realen Welt
ins Wohnzimmer gelangen. Sich davon jedoch den Appetit beim
Abendessen verderben lassen? Wirklich nicht! Der unermessliche
Reichtum der westlichen Industrienationen fußt nicht zuletzt auf der
Armut der Menschen, die heute zu Recht Anspruch auf einen Teil dessen
anmelden, was wir für selbstverständlich erachten. Wofür wir
längst den Blick und das Bewusstsein verloren haben.
Stellt
sich mir am Ende die Frage, warum begehrt man auf gegen diesen
Ungeist? Sie sind ja doch nicht zu belehren. Weil man weiß, worin es
enden kann? Aus Angst, dass sich die Geschichte wiederholt? „Hegel
bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen
und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen
hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“
Soweit die Gedanken von Karl Marx.
Wenn
es nur eine Farce bliebe. Das weitgehende Schweigen und die
Tatenlosigkeit der Staatsgewalten scheinen sich in dem Glauben daran
zu erklären. Hoffen wir, dass wir nicht eines Besseren belehrt
werden. Das Schweigen vor einer offensichtlichen Entwicklung, die
Kapitulation am Ende vor der beginnenden Apokalypse, die vor drei
Generationen schließlich in Völkervernichtung und
Zivilisationsbruch endete, hat uns gezeigt, was geschieht, wenn
Kräfte sich sammeln und entarten. Aber wo wären wir, wenn uns nicht
der Glaube an die Vernunft und an das Gute und Versöhnliche im
Menschen bliebe?
Kästners
Gedicht, das ich eingangs zitierte, endet mit folgenden Worten:
…Wie ihr's euch träumt, wird Deutschland nie erwachen
Denn ihr seid dumm und seid nicht auserwählt
Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt:
Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!