Donnerstag, 17. Dezember 2020

Wir handeln nicht, wir klagen

Kaum etwas scheint uns näher in dieser zweifellos schwierigen Zeit, als zu jammern über all das, was nicht geht. Über all das, auf das wir verzichten müssen, bemessen an dem, was wir hatten, als wir buchstäblich alles hatten. Das Anpassen an veränderte Bedingungen, was nicht unbedingt Verzicht bedeuten muss, scheint dem Menschen nicht
gegeben. Wir verharren in verhärteten Strukturen. Pochen auf Althergebrachtes und sehen eben in jeder Veränderung eine Einschränkung unserer Freiheit. Eine Freiheit, die aber keine ist, da wir uns gefangen nehmen lassen von dieser Denkweise.

Nehmen wir als Beispiel die Kunst, die Kultur und ihre Schaffenden. Freischaffenden Künstlern fehlt es zurzeit an jeder Möglichkeit, sich zu verdingen. Kulturelle Einrichtungen wurden, nachdem sie in den Sommermonaten doch in, wenn auch stark eingeschränkter Weise, arbeiten konnten, nun wieder geschlossen auf unabsehbare Zeit.

Das Schauspielhaus Hamburg hatte die Idee, online Live-Vorstellungen gegen eine geringe Gebühr anzubieten. Durchschnittlich 800 – 1000 Karten (Zugänge) werden pro Vorstellung verkauft. Meines Wissens ist das Schauspielhaus eines der einzigen Theater, das aus der Not eine Tugend zu machen verstand. Zu Anfang hat es geheißen, eine Krise wie die Gegenwärtige kann auch als Chance verstanden werden. Als Chance, innovative Ideen zu generieren. Beinhaltet dies nicht auch der Kunstbegriff? Etwas schaffen aus neuen Situationen, statt destruktiv in althergebrachten Strukturen zu verharren?

Aber nicht nur in der Kultur ist diese Unfähigkeit der Anpassung gegeben. Auch in der Wirtschaft begegnet uns dieses Phänomen. Nehmen wir den Handel. Den Buchhandel beispielsweise, der seit Jahren über zurückgehende Umsatzzahlen klagt. Nicht so die Buchhandlung meines Vertrauens. Durch frische, freche und kreative Ideen hat man sich den veränderten Marktbedingungen angepasst. Hat über eine Vielzahl von Veranstaltungen rund um das Medium Buch einen umfangreichen Kundenstamm gewonnen. Hat durch Präsenz und Individualität sich einen Standort geschaffen, der beispielgebend für die Branche und letztlich dafür ist, dass man auch heute mir Büchern Geld verdienen kann.

Noch ein Beispiel: die seit Jahrzehnten zurückgehenden Umsatzzahlen der Printmedien. Mit Beginn des digitalen Zeitalters, der virtuellen Medien und ihrer unüberschaubaren Informationsflut, der der Nutzer rund um die Uhr ausgesetzt ist, scheinen Zeitungen wie ein Urgestein. Bei einer Halbwertzeit von bestenfalls wenigen Stunden betreffen die neuesten Nachrichten, sind die Meldungen und Artikel, die ich am kommenden Morgen in der Zeitung lese, fast lächerlich in ihrer nicht vorhandenen Aktualität. Die New York Times hat es damals schon erkannt. Hat reagiert auf den sich bildenden Marktanteil virtueller Formate. Sie bietet bereits seit Jahren ein Online-Abo zu einem verhältnismäßigen günstigen Preis von umgerechnet € 15.- an und verbucht mittlerweile die stattliche Zahl von 10 Millionen Online-Kunden mit steigender Tendenz.

Sicher sind diese Beispiele nicht anzuwenden auf alle Branchen, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen leiden. Aber das allumfassende Klagen sämtlicher Branchen ist nicht minder unangemessen, wenn man die Situation [auch] als Chance versteht.