Sonntag, 4. September 2022

„...nur die Dummheit pflanzt sich selber fort.“ (Erich Kästner)

Zu Beginn waren es Hypothesen, später gewagte Prognosen, Analysen, Studien. Mittlerweile belastbare Fakten. Vor zwei Jahren begann es. Ich bediene mich bewusst nicht des mittlerweile gebräuchlichsten Begriffs im nationalen wie internationalen Sprachgebrauch. Kein Tag vergeht, ohne das wir ihn nicht hundertfach hören, lesen, sei es in den Medien, sei es im zufällig aufgeschnappten Gesprächsfetzen im Vorübergehen.

Können Sie es noch hören? Ich nicht mehr. Nicht mehr den Begriff selbst. Nicht mehr die Situation im Allgemeinen wie im Speziellen. Nicht mehr die Larmoyanz der unablässig Klagenden. Nicht mehr das, was es verursachte respektive nach sich zog, womit wir beim eigentlichen Thema wären.

Wie hat es die Gesellschaft gespalten? Wie beeinflusst? Wie unser Sozialverhalten nachhaltig verändert? Gehen sie mit offenen Augen durch die Welt. Schauen sie in die Gesichter, soweit möglich. Das, was Sie sehen, wollen Sie nicht sehen.

Die Entfremdung der Gesellschaft. Die zunehmende Anonymisierung und deren sprunghaften Anstieg seit Beginn der Epidemie. Wo man sich früher noch schemenhaft wahrnahm, vom Sehen im eigentlichen Wortsinn ist schon lang nicht mehr die Rede, empfindet man den Nächsten bald als Bedrohung. Man geht sich aus dem Weg. Man wendet das Gesicht ab. Man vermeidet jede Form von Nähe. Reicht nicht mehr die Hand zum Gruße. Die Maske schützt vor Infektion, ggf. vor Erkrankung durch das Virus. Sie schützt zudem vor etwas anderem, das fast unerträglicher scheint. Vor der Verlegenheit, in verhärmte, sorgenerfüllte, desillusionierte Leidensmienen schauen zu müssen, deren Lächeln längst erstarrte. Brecht: „der Lachende, hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht erfahren:“ Trifft das zu? Sind wir schon so weit, dass ein Lächeln gleichzusetzen wäre mir Ignoranz und Gleichgültigkeit?

Doch woran verzweifeln Sie? Verzweifeln Sie am Niedergang der Wertmaßstäbe, an denen sich die Zukunft und unsere aller Fortbestand bemisst? Am Versiegen der Hoffnung, dass alles sich doch zum Guten wenden wird? Zum Guten im Sinne des Großen, Ganzen? Oder in Aussicht darauf, dass wir das, was wir unter dem Begriff Normalität lebten, nie mehr auf die althergebrachte Weise erleben werden? Dass die Freiheit der Zukunft nie mehr die der Vergangenheit sein wird? Dass der Ausverkauf des Schlaraffenlands, in dem alles zu jeder Zeit und in uneingeschränktem Maß zur Verfügung stand, längst begonnen hat?

Dass die Zuckergussfassade die Wirklichkeit preisgibt, die uns allabendlich in Form von Nachrichten und Reality-TV-Formaten eine aufgesetzte Betroffenheitsmine entlockt, denn uns betrifft es ja nicht?

All die Maßnahmen zum Schutze der Allgemeinheit wie jedes Einzelnen, halte ich zum gegenwärtigen Stand der Dinge für unverzichtbar. Das Für und Wider dieser Maßnahmen soll demnach nicht der Gegenstand dieses Beitrags sein. Ergänzend zum Schwerpunkt zu Beginn dieses Beitrags jedoch die Frage: Was ist falsch gelaufen? Was haben wir falsch gemacht? Welchen Beitrag haben wir geleistet, dass eine zunächst unterschätze internationale epidemische Situation bald zu einer nahezu unbeherrschbaren globalen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes mutierte?

Es ist nicht die erste Pandemie der Menschheitsgeschichte, die weltweite um sich griff. Nicht die mit den höchsten Opferzahlen. Doch ist es die am längsten anhaltende. Wir gehen ins dritte Jahr und ein Ende ist nicht absehbar.

Die Wissenschaft arbeitet weiterhin fieberhaft an Vaxinen die ein Ende der Gefahr bringen sollen. Man erkennt unschwer, dass man auch heute noch keine Antworten parat hat. Dass die Wissenschaft vielleicht an die Grenzen des Machbaren gelangt. Die Wissenschaft der Pharmazie, der Medizin. Vielleicht überdies die Wissenschaft, die menschliches Verhalten erforscht? Auch sie sucht nach Erklärungen für das Unerklärliche. Die Antwort darauf, warum die Vernunft versagt. Warum die Dummheit wie die Unvernunft sich millionenfach multipliziert und für mich die eigentliche Gefahr für den Fortbestand der Menschheit und seines Lebensraumes, nicht nur im Hinblick auf diese oder einer der nächsten Pandemien, beinhaltet.

Gehen wir zurück in der Geschichte. Schauen wir auf den Beginn des 20. Jahrhunderts. Bewerten wir die gegenwärtige Situation anhand der Fakten
der Spanischen Grippe, die weltweit 50 Millionen Todesopfer forderte.

Freilich sind wie weit entfernt von diesen Zahlen, doch den Zeitraum, während der die damalige Pandemie grassierte, haben wir bereits um ein Vielfaches überschritten. Was liegt dem zugrunde? Zum einen sicher die geringere Bevölkerungsdichte, die gerade mal ein Viertel der heutigen Zeit betrug.

Nicht zuletzt aber auch die geringere Vernetztheit der Menschen. Das bei weitem geringer ausgeprägte Konsumverhalten. 2018, das letzte Jahr vor Ausbruch der aktuellen Pandemie, lag die Zahl der jährlichem Touristen Weltweit bei 1,8 Milliarden Menschen, die nicht nur Ihren Wohlstand in die Welt trugen. Man sollte meinen, dass diese Zahl sich in den beiden Folgejahren reduziert hat. Das Gegenteil ist der Fall. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Reisenden trotz weltweiter Pandemie und vielfachen Reisebeschränkungen um 3,7 %, Tendenz weiter steigend und dies ist nur ein Beispiel für Maßlosigkeit bzw. die mangelnde Bereitschaft zum Verzicht.

Wir suchen die Schuldigen in der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft und den Lobbyisten-Verbänden. Wie suchen sie in den Medien, in Kreisen von Verschwörungstheoretikern die schwadronierend ihre Heilsversprechen in Form entgeistigter Theorien, und seien sie noch so absurd, in die Welt tragen.

Diese wiederum werden von Verschwörern der Gegenseite, nicht selten zunächst im Sinne ihrer jeweils eigenen Interessen, falsifizieren. Nur wir selbst sind es nie gewesen. Unser eigenes Verhalten ggf. den sich stetig veränderten Situationen, an deren Veränderungen wir keinen unwesentlichen Anteil haben, anzupassen, ist uns fern jedes Vorstellungsvermögens.

Die Philosophische Anthropologie spricht vom Menschen, als einziges vernunftbegabtes Wesen auf Erden. Im weiteren Text zu dieser These heißt es: Wir sind in der ungefähr zehn-tausendjährigen Geschichte das erste Zeitalter, in dem sich der Mensch völlig und restlos problematisch geworden ist:“ Was für ein Erfolg!

Fazit:

Ich möchte auch keine Maske mehr tragen, weil ich wieder in Gesichter schauen, in Minen lesen möchte. Möchte wieder unbeschwert ins Theater, ins Kino gehen. Möchte die Menschen, die mir nahestehen, umarmen. Ihnen nahe sein. Möchte reisen und die Schönheit der Welt genießen.

Alles aber in einem für den Fortbestand der Schöpfung, auch der Menschheit verträglichen Maß und vielleicht ein bisschen aus der Perspektive, dass nichts von all dem selbstverständlich ist.

Wenn wir hingegen den Blick dafür verlieren. Wenn wir nicht die Rudimente unseres Verstandes bemühen. Wenn wir uns weiterhin der Theorie, dass Lebensqualität vordergründig auf stetem und möglichst unbegrenztem Wachstume basiert, unterwerfen, wenn wir den Verführungen derer weiterhin erliegen, die uns vermitteln, dass die Sinnhaftigkeit unserer Existenz ausschließlich in Kommerz und Konsum besteht...

Ich führe diesen Satz bewusst nicht weiter aus.

Schließen möchte ich mir dem Satz eines Journalisten: „bei allen Krisen, die die Welt erfährt, bin ich froh, dass ich sie in Europa erlebe“

Wir leben im Luxus. Ja, auch die Menschen, die ihre Existenz von geringem Einkommen bestreiten müssen, bemisst man unsere Lebenssituation an der derer, die uns in schon genannten TV-Formaten vor Augen geführt werden. Selbst in Zeiten des absoluten Lockdowns fehlt es uns an nichts. Wir bedienen uns weiter an übervollen Supermarktregalen. Haben ein Dach über dem Kopf. Konsumgüter über den täglichen Bedarf bestellen wir online. Unsere Kühlschränke sind voll. Aus dem Wasserhahn fließt wahlweise Heiß- und Kaltwasser. Die medizinische Versorgung, wenn auch nicht optimal so doch zumindest ausreichend vorhanden, ist gesichert. Wo bitte liegt das Problem?

Vielleicht lässt sich einer möglichen positiven Veränderung der Verhältnisse das Zitat der russischen Schriftstellerin Jewgenia Ginsburg voranstellen: „Dem Mut zum Weglassen gebührt der tiefe Sinn“

Denken wir mal drüber nach. Es ist Weihnachten. Ein schöner Anlass.

Vielleicht aber wird es Zeit, sich mit der Unabänderlichkeit der Verhältnisse auseinanderzusetzen. Vielleicht ist in der Entwicklung der Menschheit eine Wegmarke erreicht, in der eine Umkehr kaum mehr möglich ist. Ein Stadium der Entwicklung, von dem ab alles nur noch nach Zweck und Nutzen bemessen wird. Dass Freundschaft, Liebe, sei es zu einem Menschen, zu allem, was uns umgibt, die vordergründige Frage stellt, welchen Gewinn bringt es mir?

Wenn die Tränen, die ein Mensch weint, als Druckmittel interpretiert werden. Wenn in Gesten der Freundlichkeit, wenn über einem Lächeln das ich aussende, die Frage steht, was erwartet jener dafür?

Wenn das Nichts, dem ich selbst mich zeitweilig gern für Augenblicke ergebe, als unausgefüllte Zeit, die es totzuschlagen gilt, deklassiert wird.

Wenn Werte wie Bildung vordergründig als Wirtschaftsfaktor bemessen werden. Kreativität, Phantasie, differenziertes, freies Denken nicht mehr gefragt sind, weil es nicht systemkonform sei. Wenn selbst Werte wie Kunst und Kultur vordergründig an ihrem Marktwert bemessen werden, brauchen wir uns über die hier gestellten Fragen keine Gedanken mehr zu machen.

Dann stehen wir wirklich vor dem Offenbarungseid der Menschlichkeit.