Donnerstag, 19. November 2020

"An die Nachgeborenen..." (Nach Brecht)

Sie gehen auf die Straße gegen Maßnahmen, die der Eindämmung unkontrollierter Verbreitung eines vielfach tödlichen Virus dienen. Gewerbetreibende, Freiberufler, Soloselbstständige, Arbeitnehmer fürchten zu Recht um ihre Existenzgrundlagen. Der größere Teil jedoch fürchtet nur um sein Amüsement. Seine gesetzlich verbriefte, uneingeschränkte Freiheit in einem nimmer zu stillenden Konsumwahn. Habenwollen. Erleben wollen. Um nichts anderes geht es im Leben derer, deren Horizont bestenfalls bis zum Ballermann nebst eimerweise Sangria-Kotze reicht.

Die Bundesregierung beziffert den wirtschaftlichen Schaden dieser Krise mit 1,5 Billionen Euro. Eine Summe, die sich zusammensetzt aus geringeren Steuereinnahmen, aus finanziellen Hilfsleistungen in Form von Rettungsschirmen, von umfänglichen Stütz- und Sanierungsprojekten.

Ich bin der Überzeugung, hätte die Bevölkerung, hätten wir von Beginn an ein anderes, ein umsichtigeres und verantwortungsvolleres Verhalten an den Tag gelegt, hätte man die schwelende Gefahr wahr- und ernstgenommen, hätte man sein Konsumverhalten, sein Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen, auf diese Gefahr ausgerichtet, hätte es solch kategorischer Maßnahmen, an deren Ende eine Zahl, ein wirtschaftliches Defizit steht, an deren Tilgung die kommenden drei Generationen zu tragen haben, nicht bedurft und die Zahl wäre moderater ausgefallen.

Statt zu denken aber, wandte man sich Rattenfängern und selbst ernannten Heilsbringern zu, die in der Gunst der Stunde eine willkommene Chance witterten, ihr Geltungsbedürfnis auf billigste und perfideste Weise aufzupolieren. Kreaturen, die sich nicht scheuten, jedwede wissenschaftliche Erkenntnis unter Verwendung fadenscheinigster Argumente, basierend auf haarsträubenden Theorien ad absurdum zu führen, um die Ungebildeten schlussendlich mit Taschenspielertricks primitivster Art hinter sich zu vereinen.

Selbst denken ist unbequem. Denken lassen, besonders dann, wenn es der Befriedigung niederster Bedürfnisse zuträglich ist, jeder Zeit willkommen. Stellen wir ihnen, dem Pöbel, dem Ungeist, der augenscheinlich kompletten Verblödung die anfangs genannte Summe in Rechnung. Die Blindheit, der mangelnde Verstand wie die hieraus resultierende Nicht-Erkenntnis, für einen bestenfalls überschaubaren Zeitraum maßzuhalten und zu verzichten, hat diese Situation provoziert. Nicht ein Virus, woher es auch immer kam. Nicht die Legislative mit ihren Maßnahmen. Nicht die Wissenschaft, die Erkenntnisse lieferte, die ein Handeln, wie es letztlich durchgesetzt wurde, erforderlich machten. Wir selbst sind es, die diese katastrophalen Bedingungen geschaffen haben. Und wenn wir am Ende dieser Pandemie vor Verhältnissen stehen, die noch viel drastischere Einschnitte erfordern, weil wir das Menetekel nicht gesehen haben, selbst dann und noch mit der Schlinge um den Hals, werden wir die Schuld in unserem eigene Missverhalten nicht erkennen. Nicht erkennen wollen.

Es ist das faustische Prinzip. Du kannst alles haben, aber es hat seinen Preis. Der uns dies ermöglicht, vergisst den Wechsel nicht. Der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir nicht erkennen, was auf dem Spiel steht, wenn wir nicht erkennen, dass wir allein es in den Händen halten, wird ungleich höher sein als der des Verzichts auf einige Annehmlichkeiten gemäß meines eingangs benannten Beispiels.