Dem einen oder anderen Leser meiner Beiträge mag ich als notorischer Nörgler, als Mensch, der sich vordergründig an den negativen Seiten unserer Gesellschaft abarbeitet, erscheinen. Dem aufmerksamem Leser jedoch wird es nicht entgehen, dass meinen Beschreibungen der Verhältnisse oft ein ironischer Unterton zugrunde liegt, wie auch in der folgenden Glosse, in der es um unser Konsumverhalten gehen soll. Als passionierterer Café-Besucher kann ich mit Fug und Recht für mich reklamieren, nie in meinem Leben einen „Coffee-to-go“, ob nun erworben in einem Stehausschank am Rande der Fußgängerzone oder einer der zahllosen Kaffeehausketten, konsumiert zu haben. Dieses Produkt bzw. dessen Verzehr stellt für mich den Inbegriff termingetriebener Rastlosigkeit dar.
Auf dem Weg zur U-Bahn, zu Arbeitsstelle oder im Kaufrausch, in der einen Hand einen Kaffee im formschönen Pappbecher, in der anderen ein Stück Kuchen, in der dritten das Handy am Ohr, sofern man nicht über eine Freisprecheinrichtung nebst „in-ear-Hörern“, jenen technischen Neuerung also, die dem Aufsatz einer elektrischen Zahnbürste gleicht, verfügt. In meinen zeitweiligen philosophischen, gedanklichen Exkursionen habe ich mir einmal die Frage gestellt, wie viel Leben, bemessen an Aktivitäten im Vergleich Vergangenheit zur Gegenwart, wir heute leben? Dies aber, sei nur am Rand bemerkt.
Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema, dem Kaffeehaus.Ich hatte noch ein wenig Zeit bis zu meinem Termin. Eine Stunde blieb mir, um genau zu sein. Da eine Filiale der Kaffeehauskette, die den klangvollen Namen des Bootsmanns in Hermann Mellvilles´ Roman „Moby Dick“ trägt, beschloss ich, mich in selbiger niederzulassen. Eine auf den ersten Blick angenehme Atmosphäre, eine Symbiose aus Optik, gedämpfter Geräuschkulisse und dem Duft frischen Kaffees empfing mich. Niemanden, der diese Einrichtungen kennt, wird es fremd sein. Freilich mangelt es an Individualität. Sämtliche Filialen dieser Kette, ob nun in Tokio, New York, London oder einem Außenbezirk von Wattenscheid, gleichen einander wie ein Ei dem anderen, und doch erreichen
sie die Sinne, denn allem, was hier geschieht, liegt ein knallhartes, nach psychologisch werbewirksamen Gesichtspunkten ausgearbeitetes Geschäftskonzept zugrunde, mit möglichst geringem Aufwand einen höchstmöglichen Umsatz zu erzielen. Wir, die Besucher, wissen es, und doch lassen wir uns nur zu gern darauf ein, uns wohlzufühlen, weil man es eben tut. Das Mobiliar teilweise im „Kolonial-Style-Antikleder“, das eine gewisse Patina symbolisiert, gehalten. Die Wandgestaltung in Form von Tapeten, die an eine Bibliothek erinnern. Das Licht gedimmt aus messingfarbenen Kandelabern. Der Fußboden aus Schiffsplankendesign-Plastik-Laminat. Und
schließlich das Produkt: Spätestens hier gerät der ungeübte Gast an die
Grenzen seiner Belastbar- bzw. Entschlussfreudigkeit.
Mit einem zuckersüßen Lächeln, das kaum Aufschluss gibt über die Erschöpfung der Mitarbeiter durch den immensen Arbeitsdruck, den auszuüben eigens ein Manager in den jeweiligen Filialen eingesetzt wird, werde ich nach meinem Wunsch gefragt.
„Einen Kaffee bitte.“ „Zum hier trinken!“, ergänze ich, überlegend, ob diese Formulierung grammatisch korrekt sei. Verwiesen auf das nahezu unüberschaubare Sortiment werde ich gebeten, meinen Wunsch zu konkretisieren.
„Wir haben: Flat white, Iced Coffee Mocca, Iced Americano, Iced Coffee Latte, Espresso con Panna, Flavored Latte, Mocca Ligth, Frappuccino blended beverage, Java Chip Chocolate Cream …“
Ich kapituliere. So klangvoll die jeweiligen Namen, so ansehnlich ihre optische Erscheinung. Unerklärlich hingegen, warum man so ein künstlerisch anspruchsvoll gestaltetes Produkt in einem undurchsichtigen Pappbecher verschwinden lässt, der bestenfalls noch am Geschmack erkennen lässt, was sich in ihm befindet. Zucker vordergründig, der den Kalorienbedarf eines ganzen Tages abdeckt. Ich beharre weiter auf einer Tasse Filterkaffee, mich unsicher umblickend, ob ich mich mit meinem exotischen Wunsch nicht vollends als „nicht zur Zielgruppe der hier verkehrenden Menschen“ oute. Die Frage, ob „tall, grande oder small!“ (warum eigentlich zweimal englisch, einmal italienisch?) beantworte ich konsequent mit „Klein“ Schließlich ziehe ich mich mit meinem Getränk an einen der freien Tische am Rande des Schauspiels zurück, darüber reflektierend, was hier geschieht. Neben den angebotenen Produkten wird etwas verkauft, das nicht existiert. Das mag in unserer auf Massenkonsum gebürsteten, desensibilisierten Gesellschaft Normalität sein, mich aber erschreckt es. Nicht real ist das Ambiente dieses Cafés. Nicht existent das Gefühl von Gemütlichkeit, die die Plastik-Atmosphäre vermitteln soll. Nicht vorhanden die Qualität eines Produktes zu teilweise völlig überhöhten Preisen, das ausschließlich durch Optik wie durch chemische, künstliche Aromen zum Kauf und Verzehr animiert. Nicht existent ein persönlicher, individueller Service, der sich lediglich darin äußert, dass der Name, des Gastes auf den jeweiligen Becher geschrieben wird, der schließlich, nach
Fertigstellung der Kreation, durch den Raum geplärrt wird. Es ist alles Fassade, die spätestens an dem Punkt zusammenbricht, an dem man sie hinterfragt. Aber nur allzu willfährig, lassen wir uns verführen von dieser Entmündigung der eigenen Wahrnehmung, des eigenen, persönlichen Geschmacks. Nein, für mich wird ein Café weiterhin ein Ort sein an dem ich mich aufhalte, weil ich genau hier sein will. Weil er mehr ist, als nur das billige Abbild dessen, was vergangen ist. Weil ich mich einlassen möchte auf die Umgebung, unbeeinflusst von Reizüberflutung. Mich einlassen möchte auf Zeitungslektüre und die ein oder andere Tasse Kaffee. Auf das Fühlen von Zeit und nicht die Umtriebigkeit, sie mit möglichst vielen weiteren Aktivitäten anzufüllen. Ein Ort auch des Dialogs, sei es mit mir selbst oder anderen, die, wie ich, hier der Hektik des Alltags, den immer unüberschaubareren Dimensionen des Konsumwahns, entfliehen.