Freitag, 8. Mai 2020

Gedanken zum 08.Mai 1945

Ein amerikanischer Soldat beschrieb das, was sich ihm beim Besuch zerstörter deutscher Städte unmittelbar nach der Kapitulation offenbarte, als ein: „Monument menschlicher Fähigkeit zu Selbstzerstörung!“

Ich denke, treffender kann man es nicht ausdrücken.


Am 8. Mai 1945 um 00:00 Uhr geschah ein Wunder. Vom Augenblick der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch den kläglichen Rest Hitlers Entourage gab es keine Nazis mehr im Land. Niemand mehr, der verantwortlich zeichnete für das, was die Geschichtsschreibung später als Zivilisationsbruch bezeichnen würde. Niemand, der von irgendetwas gewusst, noch an irgendetwas beteiligt gewesen sein wollte.

5 Millionen Zivilisten verloren in den Schrecken des Krieges allein in Deutschland ihr Leben. 15 Millionen Menschen ihr Obdach. Diese Zahlen werden später den Geschichtsvergessenen, den Leugnern, den Neonazis Motivation sein, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Seiten derer zu reden, die dieses Land vom Joch der NS-Terrors befreit haben. Denen, die sich in ihrer moralischen Verkommenheit nicht scheuen, der heroischen Taten der Wehrmacht zu gedenken. Denen, die lieber heute als morgen eine Kehrtwende in der Gedenkkultur sehen würden, damit es endlich vorbei ist mir der Selbstanklage, mit dem Schuldkult, der, laut Aussage eines der führenden Industriellen dieses Landes, dem Deutschen wie ein Menetekel anhaftet und jede Form wirtschaftlicher Entwicklung behindert.
Alljährlich gedenkt das Land an diesem Tag. Gedenkt seiner Opfer. Mir aber fällt es schwer, der Generation unserer Großeltern einen umfassenden Opferstatus zuzuschreiben. Ich gedenke vor allem derer, die dieses Land von der Tyrannei der Nazis befreit haben. Derer, die sich in Aufopferung und Zivilcourage den Vollstreckern des Bösen in den Weg gestellt haben. Derer, die sich für Schwache und Verfolgte eingesetzt haben. Derer, die ungeachtet der Gefahr für Freiheit und Leben Verfolgten Schutz und Unterschlupf gewährten. 

Ganz sicher aber gilt mein Gedenken nicht denen, die dieser Tyrannei den Weg geebnet haben. Nicht denen, die nach der Kapitulation eiligst das Führerbild von der Wand nahmen und Parteibuch und Hakenkreuzarmbinde ins Feuer warfen.
Nicht denen, die noch Wochen vor dem Zusammenbruch den totalen Krieg beschworen.
Nicht denen, die durch die Kriegsindustrie und Rekrutierung hunderttausender Zwangsarbeiter zu unsagbarem Reichtum gelangt sind und die sich bis heute nicht zu ihrem Teil der Schuld bekennen. Nicht denen, die sich, wie Sophie Scholl es einst nannte, zum Geschöpf diese Krieges machen ließen, in dem sie mordend und marodierend durch fremde Länder zogen, um sich später mit Unschuldsmienen auf ihren Befehlsnotstand zu berufen.

Vor einigen Jahren initiierte Jan Philipp Reemtsma die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“, die bereits nach kurzer Zeit abgebrochen werden musste, weil sie einen Sturm der Entrüstung in weiten Teilen der Bevölkerung auslöste. Veteranen, mit Stolz geschwellter Brust, sahen das Andenken ihrer Heldentaten beschmutzt und verunglimpft.

Allein diese Tatsache verdeutlicht den Umstand, dass der Geist, aus dem diese Verbrechen, derer sich die genannte Generation schuldig machte, erwuchs, längst nicht versiegt ist. Der Geist, der sich in dem von dem amerikanischen Soldaten zitierten Satz manifestiert. Der Geist, der ein Handeln bewirkt, an dessen Ende nur Selbstzerstörung steht.


Nachtrag:

Denen, die heute die Haltung vertreten, dass unsere Generation keine Schuld trifft an den Verbrechen der Nazidiktatur und somit auch keine Verantwortung für das, was heute hinlänglich als Zivilisationsbruch in der Geschichte dieses Land bezeichnet wird, möchte ich sagen: wenn wir stolz sein wollen auf Errungenschaften und Werte aus Wissenschaft, Kunst und Kultur, zu deren Schaffen wir nicht maßgeblich beitrugen, haben wir auch die Verpflichtung zur Verantwortung für die schrecklichen Dinge, die in diesem Land geschahen.