Samstag, 16. März 2019

Fantasie von übermorgen...

oder: "Das ist der Fluch der Zeit. Die Irren führen die Blinden" (Shakespeare: König Lear)

Ich glaube, dass es besser wird. Ich glaube, dass die heranwachsende Generation richten wird, was die mittlere und ältere Generation an verbrannter Erde hinterlassen hat. Wenn ich, wie heute, durch meine Stadt laufe, mein Weg mich am Demonstrationszug von rund 5000 Schülern vorbeiführt, die, wie jeden Freitag, weltweit mittlerweile gegen die Folgen des Klimawandels, oder sagen wir, gegen eine Politik und ein Bewusstsein, vielmehr, nicht vorhandenes Bewusstsein das diesen erst ermöglicht, Parolen wie – wie sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut – skandieren, während Damen und Herren fortgeschritteneren Alters kopfschüttelnd, sich leise empörend am Straßenrand stehen bzw. an grünen Tischen zusammensitzen, über Maßnahmen wie Abmahnungen respektive Schulverweise diskutierend, weil eben sie, die sich hier stark machen, die allgemeine Schulpflicht vernachlässigen, dann nährt sich die Hoffnung, dass es eine Zukunft geben wird, in der Werte wie Nachhaltigkeit, wie soziales Engagement gegenüber Schwachen, Unterprivilegierten und dies nicht nur im unmittelbaren Umfeld eines jeden Wahrnehmung, eine Chance hat.


Ich bleibe einen Moment als abseitiger Beobachter des Geschehens stehen. Es regnet. Die Temperaturen bewegen sich um null Grad. Schneefall setzt ein. Schließlich lasse ich mich hineinziehen in den Zug. Marschiere mit, gerate vom Rand immer tiefer in die Masse, die eine Einheit, eine Kraft bildet, die in diesem Moment das darstellt, was Henry David Thoreau vor 200 Jahren als zivilen Ungehorsam bezeichnet hat.

Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, der laut Artikel 20 Grundgesetz alle Macht dem Volke zuspricht. Diese Macht aber kann nicht ausschließlich darin bestehen, alle vier Jahre an die Urne zu treten, um die zu benennen, die die Geschicke der Gesellschaft vorläufig zu lenken haben. Schon im Schreiben dieser Worte erkenne ich die Lächerlichkeit ihrer Aussage. Wir wählen Parteien. Was schlussendlich daraus entsteht, in welcher Konstellation sich Koalitionen zusammenschließen, welche Kompromisse einzugehen sind, damit eine Regierungsbildung überhaupt möglich ist, welche Ämter welcher Partei im Rahmen der jeweiligen Koalitionsverträge zugetragen werden und schließlich, wer sie am Ende besetzt, kaum zugemessen an Kompetenz oder Sachverstand zum jeweiligen Ressort, liegt nicht mehr in der Hand des Wählers. Worin bestehen also die Einflussnahme, die Mittel der Machtausübung des Volkes? In einem Bewusstsein und einem daraus resultieren Verhaltenskodex, an dem es uns jedoch  fehlt. Darum, die eigene Bequemlichkeit abzulegen, auch wenn es noch so schwer fällt angesichts eines vollen Kühlschranks, angesichts der nächsten Urlaubsreisen zu Billigtarifen, angesichts des Anspruchs, buchstäblich alles und zu jeder Zeit haben zu wollen.

Seit 30 Jahren diskutiert die Welt über Klimawandel. Ein Klimagipfel folgt dem nächsten. „Das Ziel muss es sein, den Anstieg der Welttemperatur in den nächsten 25 Jahren auf 1,5 Grad zu reduzieren.“ Und während man in weichen Polstern der Luxus Hotels zusammen sitzt, um Maßnahmen zu erarbeiten, die am Ende doch nicht durchgesetzt werden, weil die Lobby der Großindustrie den eigenen Profit und nicht den Fortbestand eines lebenswerten Planeten vor Augen hat, weil eiligst wissenschaftliche Gutachten eingeholt werden, die jede Dystopie eines kommenden Klimakatastrophe als Farce herabwerten, werden weiterhin Autos produziert, die 30 Liter Kraftstoff verbrennen, werden weiterhin die Meere mit Plastikmüll vergiftet, wird Energie in Kohlekraftwerken produziert, für deren Brennstoffgewinnung Wälder und Naturschutzgebiete vernichtet werden.  All das ist niemandem fremd. Aber all das betrifft uns nicht, weil wir nicht hinschauen. Weil wir uns selbst den Blick auf einen Welt, die jenseits unseres beschränkten Horizontes im Elend versinkt, verstellen unter Zuhilfenahme vom 150 TV-Kanälen deren es mittlerweile bedarf, um die Illusion einer bonbonfarbenen Irrealität aufrecht zu erhalten. Weil wir es bestenfalls, wie erwähnt, in Super Dolby Surround Systemen am 3D-TV serviert bekommen, und mit dem Bier in der Hand derartige Bilder anhand seines Unterhaltungswertes bemessen, der uns am Ende einen wohlig kribbelnden Schauer über die Haut laufen lässt und uns bestenfalls eine Äußerung wie „ach geht’s uns gut“ entlockt.

Ich marschiere noch ein Stück mit. Lasse mich anstecken von dieser enormen Energie und dieser Wut auf alles, das verhindert, dass es weitergeht mit der Menschheit und ihrem Lebensraum.

Die Natur ist nicht in Gefahr. Der Mensch wird die Natur nicht vernichten. Es wäre vermessen, seinen Einfluss, sein Potenzial derart zu überschätzen. Aber er wird seinen Lebensraum vernichten. Er wird eine Umgebung schaffen, die ihn, sofern 
kein radikales Umdenken erfolgt, und zwar nicht in Dekaden von 25 oder 50 Jahren, nicht mehr zulässt.

Wir brauchen keine Politik, der es um Eitelkeit und Selbstdarstellung geht. Die ein großteils ihres Potenzials  in innerparteilichen Konflikten vergeudet während dringlichst Handlungsbedarf auf ganz anderen Ebenen besteht. Keine Parteien, die Popkultur gleich die Inhalte und Ziele ihrer Programme durch millionenschwere Werbekampagnen zu vermitteln versuchen, und am Ende, in angestrebte Positionen gelangt, doch nur wieder die ausgetretenen Pfade beschreitet. Keine Politiker, die sich zu Hofschranzen der Wirtschaft machen lassen, weil ihnen eine beispiellose Karriere in der Beletage und den Aufsichtsräten in Aussicht gestellt wird. 

Wir brauchen Menschen, die das Heft in die Hand nehmen, ihre Stimme erheben, wie diese jungen Leute heute in meiner Stadt.